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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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Gedanken nur gerade woanders.«
    »Das gibt mir aber zu denken«, erwiderte Hosp. »Ich mach dir eine Mitteilung, die vielleicht ganz optimal zu deinen Untersuchungen passt – und du bist mit deinen Gedanken woanders?«
    »Nein«, sagte Schwarzenbacher. »Ich war bei keiner anderen Geschichte. Aber was du gesagt hast, ist ein ziemlicher Hammer. Ich bin ganz einfach sprachlos. Und mir ist etwas eingefallen, was Dr. Reuss gesagt hat: Da gibt es jemanden, der zu einem Stein als Waffe besonderes Vertrauen hat.«
    »Nun werd aber nicht esoterisch«, sagte Hosp. »Der Mörder ist ein Gewalttäter, der genauso gut mit einer Axt oder einem Hammer oder einer Bratpfanne hätte zuschlagen können.«
    »Hat er aber nicht«, sagte Schwarzenbacher. »Hat er nicht. Er hat seine Gründe, einen Stein zu nehmen. Kannst du mir zu dem Stein noch was sagen? Ist es ein Ziegelstein? Irgendwas von Menschenhand Bearbeitetes?«
    »Nhnh.« Es sollte eine Verneinung sein.
    »Also ein Stein von draußen. Aus der Natur. Aus den Bergen.«
    »Nicht aus den Bergen«, sagte Hosp. »Ich muss natürlich erst die Untersuchungen noch abwarten, aber meiner Meinung nach ist es ein Flussstein. Rund gewaschen. So wie du ihn überall am Oberlauf der Isar findest.«
    »Danke für die Information«, sagte Schwarzenbacher. »Ich melde mich wieder. Wahrscheinlich aber erst nächste Woche. Hab hier ziemlichen Stress. Ciao. Und nochmals: danke!« Er legte auf.
     
    Stress, dachte Hosp, woher soll bei Paul denn der Stress kommen? Tut doch den ganzen Tag lang nichts anderes, als durch Innsbruck zu rollen oder alte Platten zu hören. Na ja, und sich ein paar Gedanken machen zu Bergunfällen, die vielleicht keine Unfälle waren.
    Aber, dachte Hosp weiter, mein Problem ist das nicht.
    Und in der Tat: Sein Problem war ein anderes: eine Tote, die mit zerrissener Bluse in Scharnitz in ihrem Blut lag und die, wenn seine Vermutung stimmte, wenigstens noch einen Hinweis auf den Namen des Täters hatte geben können: Ferd. Ferdinand.
    * * *
     
    Es war noch etwas früh für alpine Unternehmungen. Andererseits galt das Kaisergebirge seit Langem als Klettergarten mit alpinem Charakter: Lotrechte Wände, fester Fels, in den bekannten Kletterrouten gute Absicherung durch Bohrhaken. Und, was den jungen Leuten der jetzigen Klettergeneration auch ziemlich wichtig war: keine allzu langen Zustiege.
    Pablo und Marielle hatten Schwarzenbacher in Kufstein abgesetzt – es war gar nicht leicht gewesen, drei Leute, den zusammengeklappten Rollstuhl und die Kletterrucksäcke mit Helmen und Seilen ins Auto zu bringen, aber irgendwie war es dann doch gegangen. Sie hatten sich nicht aufgehalten in der Grenzstadt mit ihrer berühmten Festung als Wahrzeichen. Waren gleich wieder rausgefahren, südwärts nach Going. Von dort führte ein kleines Mautsträßchen ins Gebirge hinein. Das kostete zwar ein paar Euro, aber dafür sparten sie sich einen langen Anstieg. Und es war in ihrem Fall nicht nur Bequemlichkeit – nach dem langen Winter waren sie jetzt süchtig nach Fels. Und zwar nicht nach Fels, der, wie es in Klettergärten üblich ist, nach zehn, zwanzig oder dreißig Metern sein Ende findet, sondern nach richtigen Wänden, wo man stundenlang in der Senkrechten unterwegs sein konnte.
    Sie parkten an der Wochenbrunner Alm, schnürten die Wanderstiefel fest – »Nur mit Turnschuhen geht heut nichts. Weiter oben liegt sicher noch Schnee« –, schulterten die Rucksäcke, stellten die Teleskopstöcke auf die ihnen gemäßen Längen ein und machten sich in einem bemerkenswerten Tempo an den Aufstieg.
    Sie gingen am Hausbach entlang, ließen die Gaudeamushütte rechter Hand liegen, stapften aufs Kübelkar zu. Zu ihrer Rechten erhoben sich die markanten Gipfel des östlichen Kaisergebirges, Maukspitze, Ackerlspitze, Regalmspitze. Zur Linken baute sich der Treffauer auf, 2.304 Meter hoch und relativ wenig von Bergsteigern besucht – im Gegensatz zum Terrain, auf das sie zuwanderten: Weit vor ihnen ragten die Felstürme auf, die miteinander einen gewaltigen u-förmigen Bogen – das Ellmauer Tor – bildeten. Ein tiefer Einschnitt im zerklüfteten Hauptkamm des Wilden Kaisers, ein idealer Übergang von West nach Ost, von der Gaudeamus- und von der Gruttenhütte durchs Tor und durch die Steinerne Rinne hinab zum berühmten Stripsenjochhaus.
    Das Ellmauer Tor war ihr Ziel. Doch bis dahin war es noch eine gehörige Schneestapferei. Zwar gab es schon eine ausgetretene Spur; sie waren schließlich

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