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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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sehr, dass so wenig Blut aus der Wunde kam und dass der Schmerz erträglich war – solange er saß und das Bein nicht belastete.
    Ich werd aber irgendwann weggehen müssen, dachte er. Wenn die Nacht kommt, gehe ich weg.
    Er trank seine Tasse leer, in der der Kaffee kalt geworden war.
    Ich muss mir was ums Bein binden, dachte er. Sonst kann ich nicht laufen.
    Er sah sich im Zimmer um, suchte nach etwas Geeignetem. Die Vorhänge kamen in Frage. Aber es erschien ihm mühsam, sie in passende Streifen zu reißen, mit denen er sein Bein hätte bandagieren können.
    Der Blutfleck neben Mariannes Kopf war in den letzten Minuten immer noch größer geworden. Wie sie so dalag, erschien sie ihm doch alt. Ihr Po wirkte breit und dick unter dem Rock, der ihr weit hochgerutscht war. Die Bluse spannte am Rücken. Zartrosa Streifen, längs.
    Er humpelte zu ihr, bückte sich unter Schmerzen in der Brust hinunter, packte die Bluse am Kragen und riss sie entzwei. Es bedurfte mehrerer Anläufe, bis Ferdinand zwei geeignete Stofffetzen herausgerissen hatte. Marianne lag jetzt mit beinahe nacktem Oberkörper auf dem Boden. Nur die Träger des BHs überzogen ihren kräftigen Rücken.
    Ferdinand schaute sich die tote Marianne an, das Weiß ihrer Haut, die fleischige Schulter- und Rückenpartie, die Beine in den Nylonstrumpfhosen, den hochgestreiften Rock.
    Sie gefiel ihm nicht.
    Er setzte sich nieder und verband mit den Blusenstücken sein Bein. Er zog die Knoten eng zusammen – die Wunde mit ihrem weißen Rand blutete ja kaum; was er brauchte, war ein Verband, der sein Bein, das sich schlaff anfühlte, stützte. Damit würde er sich wieder besser bewegen können. Und es ging damit tatsächlich besser. Zwar spürte er die Verletzung bei jedem Auftreten, aber es war ein Schmerz, an den er sich gewöhnen konnte. Schlimmer war der Schmerz in der Brust.
    Sitzend betastete er seine Rippen. Es gab Stellen, da hätte er bei der geringsten Berührung aufschreien können.
    Bestimmt ist was gebrochen, dachte er. Er überlegte, was er dagegen tun konnte, hatte aber keine Idee. Es musste so gehen.
    Ich leg mich in das andere Zimmer, dachte er. Auf die Couch. Schlaf ein bisserl. Ausruhn, weil ich abends weggehen muss. Kostet Kraft.
    Er schleppte sich in Mariannes Wohnzimmer, legte sich vorsichtig auf die Couch, hob die Beine an und streckte sich aus.
    Er kam zur Ruhe, döste bald ein, aber die Schmerzen im Körper waren zu groß, als dass er in tieferen Schlaf hätte fallen können. Immer wieder wachte Ferdinand auf. Dann brauchte er eine ganze Weile, bis er wusste, wo er eigentlich war. Und was geschehen war.
    Ich hab die Marianne totgemacht, dachte er. Und er dachte es mit einem Gefühl des Stolzes und der Befriedigung.
    Hab sie totgemacht.
    Aber sie war noch nicht tot.
    Noch nicht ganz.

9
     
    Zwei Tage später wurde Marianne Grasberger tot in ihrer Wohnung gefunden. Bekannte von ihr hatten sich Sorgen gemacht, weil sie zu einem regelmäßigen gemeinsamen Skatabend nicht im »Risserhof« erschienen war.
    Am nächsten Vormittag hatten sie bei ihr geläutet und, als sich nichts rührte, durch ein gekipptes Fenster in die Wohnung zu luren versucht. Als Sepperl, Mariannes alter Hund, jämmerlich gejault, geradezu geheult hatte, waren sie zum Gendarmerieposten nach Seefeld gefahren und hatten die Polizei verständigt.
    Zwei Beamte waren die paar Kilometer nach Scharnitz gefahren, hatten die gesamte Nachbarschaft der Marianne Grasberger herausgeläutet, bis sie jemand gefunden hatten, der im Besitz eines Schlüssels zu ihrer Wohnung war.
    »Sie hat den Schlüssel bei mir deponiert, für den Fall, dass sie ihren mal verliert oder dass sie sich aussperrt.«
    Die Beamten und die hinter ihnen in die Wohnung tretende Frau aus einem der Nachbarhäuser sahen als Erstes den Hund. Sepperl saß im Flur, aufgeregt, verstört, knurrend und dabei doch den Schwanz vor Angst einziehend. Die Polizisten merkten schnell, dass sie ihn nicht fürchten mussten. Sie gingen die zwei Schritte nach rechts, den einen nach links – die Küchentür war offen, die Tragödie auf Anhieb zu sehen: Da lag Marianne Grasberger; viel geronnenes Blut auf dem Boden und daneben ein Stein, rund, mit Blut daran und einem Haarbüschel, das an ihm klebte.
    Einer der Beamten schob die Nachbarin zurück ins Stiegenhaus, der andere umkreiste den Fundort der Toten und machte dabei eine merkwürdige Entdeckung.
    »Schau einmal«, sagte er zu seinem Kollegen. »Das schaut aus, als wär da was

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