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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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sich bei einigen oder sogar allen Morden letztlich doch nur um Unfälle handeln konnte.
    »Sie sehen, ich habe nicht viel in der Hand. Das meiste wird durch kaum mehr als meine Intuition gestützt. Keine gute Voraussetzung. Wir Polizisten sollten uns an nichts als die Fakten halten. Auch außer Dienst. Und ich? Ich greife nach Strohhalmen. Kröninger hat mir gesagt, Sie hätten so einen für mich …«
    Genau in diesem Augenblick betrat Ipflingers Frau die Stube. Schwarzenbacher sah sie – und er verliebte sich auf den ersten Blick in sie. In ihre Natürlichkeit, ihre Art, zu gehen, sich auf den Tisch zuzubewegen, ihre Haare, ihre lächelnden Augen.
    »Ihr müsst’s entschuldigen«, sagte sie, »dass ich euch einfach so hab sitzen lassen. Aber jetzt im Frühjahr gibt’s so viel zu tun, und die Mama hat so Probleme mit ihre Beine. Da muss ich halt mit hinlangen. Aber jetzt richt ich euch was.«
    »Machen Sie sich keine Umstände«, sagte Schwarzenbacher. Er stellte sich vor, merkte aber gleich, dass es völlig unnötig war: Karin Ipflinger, die da in einem karierten Hemd, schmuddeligen Arbeitsjeans und in dicken Wollsocken vor ihm stand, war durch ihren Mann schon genauestens informiert.
    »Macht keine Umstände«, sagte sie. »Gibt nur Kleinigkeiten, aber davon was Gutes. Mögt ihr ein Bier oder lieber einen Kaffee oder Tee?«
    Schwarzenbacher und Ipflinger entschieden sich für Bier. Sie brachte Gläser, zwei Flaschen, auf denen der Tau perlte, dazu zwei Brettchen und Besteck.
    »Ich richt euch eine Marende. Bissl Speck, Käse, Wurst und Brot. Und dann lass ich euch in Ruhe über eure Verbrechen reden. Da stör ich nur. Und außerdem kann ich dann wieder nicht schlafen. Mich regt das zu sehr auf.«
    Sie verschwand und kam zehn Minuten später mit der appetitlich hergerichteten Marende zurück, wünschte »einen Guaten« und verschwand wieder. Schwarzenbacher hätte es lieber gehabt, wenn sie sich bei diesem Imbiss dazugesetzt und sich mit ihnen unterhalten hätte. Es ging etwas von ihr aus, das ihn an etwas Vergangenes und Vergessenes erinnerte und das bei ihrem ersten Eintreten in den Raum wieder in ihm wach geworden war.
    Aber ich bin nicht hier, um meinem früheren Gefühlsleben nachzuspüren, dachte er. Und selbst wenn ich jetzt dazu Zeit hätte – was würde es bringen? Das ist Vergangenheit. Das ist vorbei und kommt nicht wieder.
    »Bitte, greifen Sie zu«, sagte Ipflinger, nahm sich selbst eine Scheibe Brot, ein Stück von der Bauernbutter und ein Paar Räder Wurst. »Wir sind unterbrochen worden«, sagte er. »Sie haben mir viel erzählt, und da bin ich froh drüber. Ob ich nun einen Strohhalm für Sie habe – nun ja, vielleicht ist es einer.«
    Er kaute und schaute dabei zu einer Stelle an der holzgetäfelten Wand, als würde da ein Bild hängen. Aber da war nichts.
    Nach einiger Zeit sah er zu Schwarzenbacher und sagte etwas, das der im Moment überhaupt nicht erwartet hätte: »Übrigens, ich bin der Manfred.«
    In Tirol war man von jeher mit dem Du schnell bei der Hand. Ungewöhnlich war das nicht. Und doch – Schwarzenbacher ging damit etwas vom dienstlichen Charakter dieses Treffens verloren. Aber was blieb ihm schon übrig.
    »Paul«, sagte er. »Ich heiße Paul.«
    * * *
     
    Aus irgendeinem Grund ging es Marielle heute schlechter als vor zwei Jahren, als sie die »Wiessner-Rossi« zum letzten Mal geklettert war. Noch am Einstieg hatte sie sich sehr souverän gefühlt, das regelmäßig unter solchen Wänden auftretende Rumoren in Magen und Darm war harmlos und leicht in den Griff zu bekommen gewesen. Sie war hoch konzentriert und in bester Laune in die berühmte Route eingestiegen. Die ersten Meter waren nicht allzu schwierig, aber auch schon sehr steil. Gegen Ende der ersten Seillänge, dort, wo viele Haken steckten und die meisten Begeher der Route diese Haken auch benutzten, um sich daran hochzuziehen, wurde Marielles Kletterei diffizil. Weit spreizend, winzige Felsrippen und Felsleisten als Griffe und Tritte benutzend, schob sie sich höher und überwand diese erste, etwas kniffligere Stelle noch völlig problemlos.
    »Genau die richtige Seillänge zum Warmwerden«, rief sie zu Pablo hinunter, der sie vom Standhaken aus beobachtete und sie gewissenhaft sicherte.
    Aber das Warmwerden, das Lockerwerden funktionierte diesmal nicht so, wie sie das gewohnt war. Schon in der zweiten Seillänge, eine der schwierigsten in der Route, fühlte sie sich unsicher. Bereits vor dem Erreichen des sehr

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