Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
prüfenden Blick in den Garderobenspiegel. Bettina holte tief Luft:
»Bei wem warst du? Ich habe versucht, dich im Büro und auf dem Handy zu erreichen, ohne irgendeinen Erfolg!«
»Ich hatte eine wichtige Besprechung mit einem Kunden. Wir waren im ›Chez Pierre‹. Ich habe das Handy ausgeschaltet, um nicht gestört zu werden. Es war sehr wichtig«, antwortete Kay ruhig. Er sah ihr dabei unverwandt in die Augen.
»Das hast du dir ja schön zurechtgelegt. Aber dieses Mal glaube ich dir nicht. Ich habe zufällig mit deiner Sekretärin gesprochen und sie sagte mir, du hättest keine Termine mehr heute Abend.«
Kay stieß einen Laut des Unmuts aus.
»Verdammt, Bettina, ich habe dir doch schon mehr als einmal gesagt, dass du nicht hinter mir herspionieren sollst. Das ist peinlich. Es ist deiner nicht würdig. Es gibt Termine mit Kunden, von denen auch Regine nichts weiß.«
»Ja, besonders, wenn sie weiblich sind, hübsch und wahrscheinlich leicht zu haben ...«
Bettinas Wut wich langsam einem Gefühl der Taubheit. Auch dieses Gespräch würde wieder zu nichts führen: Sie bekam Kay nicht richtig zu fassen. Im Grunde gab es nur eine Möglichkeit, die Situation zu ändern. Aber die wollte sie schon wegen der Kinder nicht zu Ende denken ...
»Bettina, deine Eifersucht ist ja fast schon krankhaft. Der Kunde hieß Manfred Dillinger von der Firma Benson Marketing. Du kannst im ›Chez Pierre‹ nachfragen, du kannst bei Herrn Dillinger nachfragen, aber ich fürchte, es wird dir nicht helfen ...«
»Ich weiß, dass du wieder fremdgehst, auch wenn es heute Abend vielleicht ausnahmsweise einmal nicht so war. Du hast doch immer irgendetwas laufen. Ich kenne dich nun seit 15 Jahren ...«
»Moment«, Kay hob die Hand wie bei einer Wortmeldung, »bevor wir diese Diskussion noch endlos weiterführen, habe ich eine Frage: Gibt es noch etwas zu essen für mich in diesem Haus? Sonst sterbe ich gleich vor Hunger. Dann sind deine Probleme auch gelöst.«
»Ich dachte, du warst Essen im ›Chez Pierre‹?«
»War ich auch. Aber du kennst doch die Portionen dort ...«
»Im Kühlschrank steht dein Abendessen«, sagte Bettina und ging vor ihm her in die Küche, um es zu holen. Sie benahm sich gerade so, als wüsste Kay nicht, wo Küche, Kühlschrank und Esstisch waren. Der Widerspruch in ihrem Verhalten war ihr bewusst, aber die Gewohnheit war stärker als der Wunsch, reinen Tisch zu machen.
»Ich habe es einfach satt, so satt«, sagte sie, während sie die üblichen Handgriffe tätigte, »immer mal wieder ein langes blondes Haar auf deinem Jackett zu finden, dieses bescheuerte Schweigen am anderen Ende der Telefonleitung, wenn ich den Hörer abnehme ...«
»Wann?«, fragte Kay. »Sag mir, wann, und sei nicht so vage mit deinen Beschuldigungen, dagegen kann ich mich nicht wehren.«
»Du sollst dich auch nicht wehren, das ist kein Spielchen hier!«
»Ach, was soll ich denn dann machen, wenn du mich nach einem langen Arbeitstag statt mit einer Begrüßung mit Verdächtigungen überschüttest?«
Bettina fühlte ohnmächtige Wut. Sie wusste, sie war im Recht. Warum also bekam sie ihn nie zu fassen?
»Es hängt mir zum Hals heraus! Ich will nicht mehr! Hör endlich auf damit. Ich weiß sonst bald nicht mehr, was ich tue!«
»Ach? Du willst nicht mehr? Seit Monaten geht es hier immer nur um dich. Deine Gefühle, deine Trauer, deinen Verlust, deine Schuldgefühle. Meinst du, ich leide nicht auch unter dem Tod unserer Tochter? Glaubst du, ich hätte nicht auch etwas Trost und liebevolle Zuwendung verdient?«
»Dann gibst du es also zu. Du holst dir das, was du ›liebevolle Zuwendung‹ nennst, bei irgendeiner anderen!«
»Gar nichts gebe ich zu. In letzter Zeit war ich dir absolut treu. Du solltest dein Schneckenhaus langsam wieder verlassen, Bettina. Sieh der Realität ins Auge. Es bringt nichts, deine Wut und deinen Kummer an mir auszulassen.«
»Ich weiß, dass ich Recht habe. Du bist so mies. Verschwinde, ich will dich nie wieder sehen!«
»Du bist ja nicht mehr bei Verstand. Willst du, dass Elises Tod jetzt auch noch unsere Ehe zerstört? Hast du schon mal daran gedacht, dass wir noch zwei Kinder haben, die uns jetzt brauchen?«
»Das ist gemein. Du bist doch derjenige, der unsere Ehe kaputtmacht!«
»Nein. Ich versuche alles, um sie zu retten.«
Bettina sackte neben der geöffneten Kühlschranktür in sich zusammen. Ihre Knie gaben unter ihrem Gewicht einfach nach und sie kauerte auf dem Boden wie ein kleines
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