Kalter Mond
diesem Haus am See. Also, jetzt brummt mir wirklich der Schädel.«
»An welchem See?«, fragte Delorme.
»Ich weiß nicht. An irgendeinem See.«
Es konnte jeder der zehn Seen im Umkreis von fünfzig Meilen sein.
»Jedenfalls hat er mich da mit rausgenommen. Und ich hab den Nachmittag dort verbracht.« Terri griff nach der Ruftaste und drückte. »Gott, ich brauch wirklich was für meinen Kopf.«
Cardinal tippte Delorme auf die Schulter. »Wie wär’s, wenn wir’s für heute gut sein ließen«, sagte er. »Wir kommen wieder, wenn sie sich besser fühlt.«
Delorme würdigte ihn nicht einmal eines Blickes, sondern sah unverwandt dem Mädchen in die Augen, dessen Unterlippe jetzt zu zittern begann. »Was ist an dem See passiert, Terri?«
»Wir hatten Streit, Zoff.«
»Worüber?«
»Ich weiß nicht. Persönliche Dinge. Ist das wichtig?«
»Offenbar ist es sehr wichtig. Sie haben eine Schusswunde im Kopf. Worüber haben Sie gestritten?«
»Ich wollte, dass er mit mir nach Vancouver zurückkommt, und er wollte nicht, in Ordnung? Wo bleibt diese verfluchte Schwester?«
Die Emotionen schienen wirklich wiederzukommen, dachte Delorme, doch da war etwas in der Art, wie sich Terris Zorn Luft machte, der sie nicht traute. Etwas Theatralisches.
»Was ist weiter passiert? Sie hatten Streit, und dann?«
»Sergeant Delorme«, sagte Cardinal.
»Tom hat nicht auf mich geschossen, falls Sie das denken. Er ist der harmloseste Kerl, den Sie sich vorstellen können.«
»Dann sagen Sie, was weiter passiert ist.«
»Wir hatten Streit, ich bin gegangen. Ich bin diesen endlosen Feldweg entlanggelaufen. Es war höllisch heiß, und es wimmelte von Mücken. Es war weit bis zur Stadt, also hab ich den Daumen rausgehalten. Der zweite Wagen, der vorbeikam, hat angehalten.«
»Modell? Farbe?«
»Irgendwas Helles – weiß oder silbern oder so. Er hat in der Sonne geblitzt und mich fast geblendet.«
»Und der Fahrer?«
»Ich weiß nicht, okay? Er trug eine Sonnenbrille. Gott im Himmel, wollen Sie mich vielleicht endlich in Ruhe lassen? Für wen halten Sie sich eigentlich? Ich hab eine Scheißschusswunde im Kopf, und Sie behandeln mich wie eine gottverdammte Kriminelle!«
Sie drehte sich auf die Seite, knallte sich ein Kissen auf den Kopf und weinte laut.
Genau wie im Film, dachte Delorme.
Die Dienst habende Schwester kam herein. Sie warf einen Blick auf das bebende Mädchen und wandte sich an die beiden Detectives. Sie deutete zur Tür und sagte nur ein Wort: »Raus.«
»Da hast du ja tolle Arbeit geleistet«, sagte Cardinal im Flur. »Dafür hättest du dir glatt eine Auszeichnung für besondere Feinfühligkeit verdient.«
»Cardinal, wir müssen Informationen aus dieser Frau rausquetschen. Ich weiß nicht, wieso du die Kleine so mit Samthandschuhen anfasst.«
»Miss Tait ist hier das Opfer, vergessen? Sie hat eine Schusswunde im Kopf. Es bringt doch nichts, sie unter Druck zu setzen. Was helfen würde, wäre, wenn du dich ans Telefon klemmen und die Kollegen in Vancouver fragen würdest, ob sie eine Vermisstenmeldung über sie haben.«
»Und wenn nicht?«
»Dann sollen sie Schülerakten oder egal was auftreiben, das uns ein bisschen über ihre Vergangenheit verrät.«
»Ich dachte, du vertraust ihr«, sagte Delorme.
»Tu ich auch. Nur ihrem Gedächtnis nicht.«
»Hast du ihr das mit dem Streit abgekauft? Mit dem Anhalter? Meinst du wirklich, wer so aussieht wie diese Frau, hält den Daumen raus, um sich von einem fremden Mann mitnehmen zu lassen?«
»Könnte schon sein. Wenn sie sehr aufgeregt war. Wir kennen sie noch nicht.«
»Ich glaube, das hat sie frei erfunden.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ihre ganze Art. Sie hat Blickkontakt gemieden. Blieb vage, wenn es ihr passte.«
»Ach so, du hast offenbar schon mit ’ner Menge Amnesie-Opfern gearbeitet?«
»Ich glaube, sie verschweigt etwas.«
Dr. Paley kam vom anderen Ende des Flurs auf sie zu. »Schon fertig? Wollen wir uns in meinem so genannten Büro unterhalten?«
Sie folgten ihm in das voll gestopfte Kabuff mit dem Blechtisch und den Aktenbergen. Dr. Paley schloss die Tür hinter ihnen und schaufelte ein paar Stühle für sie frei.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Delorme. »Am Telefon haben Sie gesagt, Miss Tait sei außer sich vor Freude, ihr Gedächtnis wiederzuhaben. Aber unsere rothaarige Freundin wirkt ausweichend und nervös und deprimiert.«
»Deprimiert ist wohl nicht das richtige Wort«, sagte Dr. Paley. Er machte sich eine Notiz in
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