Kalter Mond
Serviette schreibe. Aber man braucht schon Disziplin. Man muss bereit sein, die entsprechende Zeit einzusetzen, damit etwas dabei herauskommt. Ich versuche, so um die sechs bis acht Stunden am Tag am Schreibtisch zu sitzen.«
»Das klingt eher wie das Pensum eines Romanautors als das eines Poeten.«
»Aber so ist es nun mal. Ich arbeite genauso lange wie jeder andere.« Ein bisschen Normalität in das Ganze bringen. Hat noch niemandem geschadet.
»Aber ich habe gehört – und ich wüsste gern von Ihnen, ob das Legende ist –, Sie besäßen nicht einmal einen Schreibtisch.«
»Mein Schreibtisch ist da, wo ich Papier und Kugelschreiber habe. Ist mir egal, ob es ein Tisch in einem Starbucks ist oder ein Baumstumpf auf einem Feld.«
»Tut mir leid, Kumpel, aber sechs Stunden an einem Baumstumpf klingt unbequem. Sechs Stunden an einem Baumstumpf klingt verdammt nach Rückenschmerzen.«
Kevin nahm einen Schluck von seinem Maltwhisky. Amis hatte ihm versichert,
Vanity Fair
würde die Rechnung übernehmen.
»Wenn es gerade gut läuft, können Sie mitten in einem Hurrikan schreiben. Manchmal ist es fast so, als flösse einem das Gedicht in den Adern. Ich sag Ihnen was. Eines Morgens war ich gerade dabei, mir meinen Kaffee zu machen, und ich setzte mich an den Küchentisch, um zu schreiben. Ich arbeitete gerade an
Needles
– eine Menge Strophen –, und die Worte sprudelten nur so heraus. Irgendwann wurde es dunkler, und ich dachte, die Glühbirne sei kaputt. Ich bin aufgestanden, um sie auszuwechseln, und da habe ich gemerkt, dass die Birne ganz in Ordnung war. Es war Abend.«
»Sie haben den ganzen Tag durchgearbeitet, ohne es zu merken? Gott, ich wünschte, das würde mir passieren. Ich wünschte, ich würde auch nur eine
Minute
schreiben, ohne es zu merken. Eine
Nanosekunde
. Machen Sie öfters diese Erfahrung?«
»Ab und zu. Nicht oft genug.«
Amis trank wieder von seinem Ale, stellte sein Glas ab und beugte sich vor. »Hören Sie«, sagte er. Das Folgende
sotto voce
, wie unter Verschwörern. »Die brutale Wahrheit ist doch, dass Sie seit einem halben Jahr kein Gedicht zu Ende geschrieben haben, stimmt’s?«
»Im Moment läuft es nicht so gut, das ist richtig, aber …«
»Sie haben – in einem Anfall selbstgerechter Idiotie – den einzigen Menschen davongejagt, der Sie wirklich liebt, demIhr Talent tatsächlich etwas bedeutet, der möchte, dass etwas aus Ihnen wird. Und Sie verrotten in irgend so einem ausgedienten Sommerlager und hängen mit Drogendealern rum, vor denen jeder vernünftige Mensch schleunigst das Weite suchen würde.«
Vielleicht war Martin Amis doch nicht die richtige Wahl für dieses Interview gewesen. Vielleicht hätte er auf Larry King bestehen sollen. Jemand, der nicht ganz so … bissig war.
»Ich sag Ihnen mal, was ich glaube, Schätzchen«, fuhr Martin fort. »Ich denke, Sie sitzen ziemlich in der Tinte, denn wenn Sie des Drogenhandels überführt werden, dann wandern Sie für eine halbe Ewigkeit in den Bau; und als Beruhigungsmittel sozusagen gönnen Sie sich dreimal täglich Skin-Popping. Mir kommt es ganz so vor, als ob Sie ziemlich in der Zwickmühle säßen, denn im Grunde Ihres Herzens – Ihres kindlichen Gemüts – wollen Sie überhaupt kein Drogendealer sein. Sie ertragen es nur nicht, von Ihrem Nachschub abgeschnitten zu sein. Sie sind stoned, Tait, Sie sind ein Junkie. In Ihren Adern fließt Heroin und keine Poesie, und die Chancen, dass Sie je eine einzige lesbare Zeile schreiben, schwinden minütlich.«
Der Tagtraum zerplatzte, und Kevin starrte einmal mehr an die raue Holzbohlenwand seiner Hütte. Unter seinem Arm lag der gelbe Schreibblock mit den durchgestrichenen Versuchen, für seine Ballade neue Verse zu schreiben.
Das Spiel war aus, kaum zu begreifen,
Für das Gespenst und die Lady,
Kurz vor dem Küstenstreifen
Sank sie an seine Brust, als wär sie …
Na ja, das lief ja schon mal nicht schlecht. Richtig schwierig wurde es erst in der nächsten Strophe.
Die Grenzposten, die
ihn töten …
Also, die Grenzposten haben ihn getötet, und wie weiter? Und wie können die ein Gespenst töten? Vielleicht bin ich zu prosaisch, um Gedichte zu schreiben. Angesichts der Sackgasse waren seine Gedanken zu einem anderen Interview abgedriftet. Und bei dieser Gelegenheit war Amis ziemlich feindselig geworden.
Okay, Red Bear und Leon waren ihm nicht geheuer; es war nicht zu leugnen, dass man diesen Biker tot aufgefunden hatte. Red Bear schwor, er hätte
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