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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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einer Akte und legte sie beiseite. Er drehte sich auf seinem Stuhl um, so dass er Delorme direkt gegenübersaß. »Ich denke, ›überwältigt‹ kommt der Sache näher. Miss Tait hat eine furchtbar traumatische Erfahrung hinter sich – jemand hat ihr eine Kugel in den Kopf geschossen –, und ihr dämmert allmählich, was das heißt.«
    »Aber sie kann sich doch nicht im Mindesten daran erinnern.«
    »Nein, und das wird sie auch nicht. Aber jetzt weiß sie nunmal, dass es passiert ist. Sie weiß, dass jemand versucht hat, sie umzubringen. Und das hat sich bei ihr festgesetzt. Sie wird es nicht wieder vergessen wie letzte Woche noch, somit ist sie sich zum ersten Mal ihrer prekären Situation wirklich bewusst. Ich denke, da wäre jeder beunruhigt und nervös.«
    Ein Spatz landete auf der Fensterbank neben dem Schreibtisch des Arztes, beäugte Delorme misstrauisch und flog wieder davon.
    »Was Sie sagen, leuchtet ein«, erwiderte Cardinal. »Und wir wollen nicht zu sehr in sie dringen …«
    »Das wäre auch kontraproduktiv. Im Moment versucht sie, dieser Flut an Selbstfindung etwas entgegenzusetzen, und offen gesagt habe ich den Eindruck, dass sie sich recht gut macht. Vielleicht erinnert sie sich an Dinge, über die sie nicht reden will. Bei uns allen gibt es doch das eine oder andere in unserer Vergangenheit, auf das wir alles andere als stolz sind. Das muss nichts mit ihrer Schussverletzung zu tun haben.«
    »Doktor, die
negativen
Dinge führen uns zu ihrem Angreifer«, sagte Delorme. »Die Partridge-Familie bringt’s nicht.«
    »Das verstehe ich, Detective. Ich bin sicher, dass sie im Lauf der kommenden Tage auskunftsfreudiger sein wird.«
    Delorme blätterte die Seiten ihres Notizbuchs durch. »Ich sehe mir gerade an, was ich mir bei unserer ersten Unterhaltung notiert habe. Da waren Sie sicher, dass sie sich, sobald sie ihr Gedächtnis wiederbekommt, mit einem Schlag an alles erinnern kann.«
    »Ja. Erstaunlicherweise funktioniert es so. Es ist, als ob man einen Kurzschluss repariert. Plötzlich hat man wieder ein klares Bild.«
    »Diesmal aber offenbar nicht«, sagte Delorme. »Miss Tait erinnert sich an manche Dinge und an andere nicht. Sie erinnert sich, dass sie in einem Motel gewohnt hat, aber nicht andie Farbe des Baus. Sie kann nicht sagen, ob Ziegel oder Holz. Sie weiß nicht, für wie viele Tage sie da war. Sie erinnert sich, zu einer Stelle an einem See gefahren zu sein, aber nicht, an welchem See.«
    »Vielleicht hat sie den Namen von Anfang an nicht gewusst. Falls sie an irgendeinen kleinen See mitgenommen wurde, muss sie nicht unbedingt den Namen wissen. Manche haben nicht mal einen Namen. Es kann ja auch eine Bucht des Trout Lake gewesen sein. Jemand von auswärts muss so was nicht wissen.«
    »Wäre sie in ihrem jetzigen Zustand in der Lage, etwas zu verbergen?«, fragte Cardinal.
    »Oh ja. Sie könnte sich an Dinge erinnern, die Sie nicht wissen sollen. Sie könnte etwas frei erfinden, um sie zu verheimlichen. Aber wenn es darum geht, Sie absichtlich irrezuleiten – also, keiner von uns kennt sie gut genug, um sagen zu können, ob sie dazu fähig wäre.«
     
    Cardinal und Delorme waren sich gewöhnlich mehr oder weniger einig, wie man mit einem Zeugen umgehen sollte, doch diesmal herrschte im Wagen dicke Luft. Delorme hielt an einer Ampel, und Cardinal zählte heimlich die Sekunden.
    »Okay«, sagte Delorme. »Wie kommt es, dass sie sich erinnert, wie ein silberfarbener Wagen sie mitgenommen hat, aber nicht, wie der Fahrer aussah?«
    »Nun mach aber mal einen Punkt, so was gibt’s doch alle naselang. Manche erinnern sich an die Schuhe, die der Kerl getragen hat, aber nicht, ob er eine Mütze aufhatte. Das besagt doch nichts.«
    »Hattest du nicht den Eindruck, dass sie sehr wählerisch darin war, was sie uns erzählt und was nicht?«
    »Ich hatte den Eindruck, dass sie sich gerade von einem Schock erholt.«
    »Also, soweit ich sehen kann, hat sie bereits genug Krankenschwestern. Noch eine hilft ihr nicht weiter.«
    »Ich denke, sie erzählt uns, was sie kann. Sieht sie dir nach einer
femme fatale
aus?«
    Delorme schielte ihn von der Seite an. »Merkst du eigentlich, dass du bei Frauen immer großzügiger bist? Du packst sie nie so hart an, wie du es bei einem Mann tun würdest.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Cardinal. »Ich hab im Lauf der Jahre durchaus einige Frauen hinter Schloss und Riegel gebracht. Du bist dafür bei Männern sehr viel lascher.«
    »Schon möglich.« Delorme zuckte

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