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Kalter Mond

Kalter Mond

Titel: Kalter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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und lassen sollst, aber ich liebe dich nun mal, und ich kann nicht zusehen, wie du dein Leben zerstörst. Ich werde dich an Händen und Füßen nach Vancouver zurückzerren, und wenn es das Letzte ist, was ich tue, Kevin. Kevin Tait.
    Und Terri Tait. Ich heiße Terri Tait.
    Die Tränen liefen ihr heiß die Wangen herunter, doch es waren Tränen des Glücks.
    Sie zog Dr. Paleys Visitenkarte aus der Nachttischschublade und wählte seine Nummer. Es meldete sich sein Anrufbeantworter; wahrscheinlich unterrichtete er gerade.
    »Ich weiß, wer ich bin«, platzte sie heraus. »Ich weiß, wer ich bin! Ich kann mich an alles erinnern! Warum sind Sie denn nicht da, wo ich Sie brauche? Kommen Sie her, damit ich Ihnen alles erzählen kann.«
    Mit rasendem Herzklopfen legte sie auf. Es erinnerte sie an das Gefühl, wenn sie auf der Bühne stand. Noch eine Erinnerung: der wunderbare, tosende Applaus, der über sie hereinbrach. Sie spielte in einer Studenteninszenierung am Simon Fraser Fräulein Julie. Danach kleinere Rollen.
    Eine Restaurantküche, das Scheppern von Tellern, von Besteck und der Chefkoch, der alle anschnauzt: »Servieren! Tempo! Tempo!«
    »Ich weiß, wer ich bin«, sagte sie laut. Sie wollte es jemandemerzählen, doch es war niemand da. Das andere Bett in ihrem Zimmer war leer. Sie stand auf und öffnete den Schrank. Wieso sollte sie nicht wie jeder andere angezogen sein? Schließlich hatte sie nicht Krebs oder so.
    Sie schlüpfte in die Jeans und das langärmelige grüne T-Shirt, die Sachen, die sie an dem Abend getragen hatte, an dem sie ins Krankenhaus kam. Das Grün des Shirts nahm ziemlich genau das Grün ihrer Augen auf. Immerhin hatte ich einen guten Geschmack, dachte sie und wurde sich bewusst, dass sie die Person, die sie vor der Lücke in ihrem Gedächtnis gewesen war, immer noch als ein anderes Wesen betrachtete. Diese Tage – oder waren es nur Stunden? – waren immer noch wegradiert.
    Draußen im Flur ging sie schnurstracks zur Schwesternstation.
    »Hey, hey«, rief eine Stimme von hinten. »Nicht so stürmisch.«
    Sie drehte sich um und sah, wie der wachhabende Cop sie einzuholen versuchte.
    »Wo wollen Sie denn hin?«
    »Zur Schwesternstation. Ich hab gerade mein Gedächtnis wiederbekommen.«
    »Tatsächlich? Hey, Schätzchen, das ist ja phantastisch. Wie heißen Sie denn?«
    »Terri!«, sagte sie, »ich heiße Terri.«
    »Ich weiß, wer ich bin«, sagte sie zu der Schwester hinter der Theke. »Ich weiß meinen Namen und woher ich bin und so.«
    »Also, das ist großartig«, sagte die Schwester, und ihr Gesicht strahlte. »Das ist einfach großartig – dann sollte ich Sie wohl nicht mehr Red nennen.«
    »Ich heiße Terri«, sagte sie. »Terri. Im Moment klingt das für mich noch ziemlich komisch. Ich weiß, dass es stimmt, aber es ist trotzdem ungewohnt.«
    Sie rief dem Schwarzen, der gerade mit dem Mopp den Boden wischte, zu: »Ich weiß, wer ich bin, ich hab gerade mein Gedächtnis wiederbekommen.«
    »Das ist gut«, sagte er. »Hoffentlich sind es gute Erinnerungen.«
    Sie sah sich nach anderen um, denen sie es erzählen konnte. Der Cop sprach in sein Funkgerät.

15
     
    D ie ehemalige Mrs. X sieht eindeutig um einiges besser aus, dachte Delorme. Mit ein bisschen Farbe an den Wangen und wesentlich mehr Leben in diesen grünen Augen. Sie und Cardinal saßen auf ein paar unbequemen Stühlen in ihrem Krankenhauszimmer. Terri Tait lehnte mit dem Kopfkissen im Rücken auf dem Bett, allerdings nur, weil es sonst keinen Platz gab. Sie war vollständig angezogen, und ohne dieses kleine Pflaster an ihrer Schläfe hätte man nie gemerkt, dass sie überhaupt verletzt worden war, geschweige denn durch einen Schuss in den Kopf.
    »Ich bin Schauspielerin«, erzählte sie ihnen. »In Vancouver. Na ja, ich denke, in erster Linie bin ich im Moment Kellnerin.«
    »Und wie’s aussieht, auch Künstlerin.« Cardinal hielt einen Skizzenblock mit einer ziemlich gut getroffenen Bleistiftzeichnung von Dr. Paley hoch. Sie fing den gutmütigen Humor in seinen Augen ein.
    »Den Block hat er mir geschenkt. Er stellt alles Mögliche auf die Beine, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Er meint, ich würde das nicht merken.«
    »Meine Tochter ist Malerin«, sagte Cardinal. »Im Moment noch eine Hungerkünstlerin, ähnlich wie Sie.«
    Terri nickte, und ihr Haar raschelte hörbar an der gestärkten Wäsche. »Im Durchschnitt muss man für jede Rolle mit fünfzig Absagen rechnen. Ich wette, die Hälfte aller

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