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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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Kette von Fragen.
    »Schon, aber die helfen uns nicht weiter. Solange wir keine Verdächtigen haben, haben wir gar nichts.«
    »Irgendjemand muss doch was gesehen haben.«
    »Nein, nein.« Er grinste schief, schüttelte den Kopf und schob langsam mit dem Fuß das Dreirad beiseite, als würden wir etwas Unschuldiges besudeln. »Die Leute wenden sich ab.«
    Ich wusste, was er meinte. Diese Mauer des Schweigens. Diese riesige, verflucht unüberwindbare Mauer des Schweigens und die zugezogenen Vorhänge, als ich das Kind erstochen hatte. Mir die Stirn blutig schlug an Backsteinen und Lügen und Selbstsucht …
    »Danke für deine Hilfe«, sagte ich.
    »Da nicht für.« Er drückte seine Zigarette an der Mauer aus. »Komm nicht noch mal zu mir nach Hause.«
    Ich entfernte mich durch das Seitentor und ging über die Straße zu meinem Auto.
    Acht Uhr, vier Wochen vor Weihnachten, und die Straße war still. Lediglich ein paar traurige Kränze an den Türen, Regen und Schweigen.
    Zu viel Schweigen.

7
    Die Wohnung war leer. Ich stellte meine Tasche neben die Tür und ließ mich aufs Sofa sinken. Die Wohnung war zu groß für eine Person, zu karg und nur in Schwarz und Weiß gehalten, aber wir waren nur selten zu zweit.
    Nach einer Weile stand ich auf, machte mir einen Tee, ermahnte mich, später noch etwas zu essen, und setzte mich mit Notizblock und Stift hin. Ich hatte das Foto von Emma nicht behalten dürfen, und mein Kopf dröhnte, so viele Namen und Gesichter drängten sich darin. Ich konnte den dumpfen, tief sitzenden Schmerz vorne in der Stirn spüren.
    »Emma Dyer«, schrieb ich.
    »Pat Dyer«
    »Clare Dyer«
    Ich überlegte.
    »Jenny Hillier«
    »Danny Maclaine«
    Ich riss die Liste heraus, fuhr mit der Handfläche über die nächste Seite, um den Staub wegzuwischen, und spitzte den Bleistift. Von dem Bild in meinem Gedächtnis zog ich, am deutlichsten in meiner Erinnerung, als Erstes die Kontur ihres Gesichts nach, dann ihren Hals bis zum Muttermal am Schlüsselbein. Die zarte Kieferpartie war eine klare Linie, wie bei ihrer Mutter. Das Haar hing ihr rechts bis auf die Schulter und war links hinters Ohr geschoben.
    Es war mir schon ziemlich früh bewusst gewesen, dass ich die Fähigkeit hatte, mir Bilder bis ins kleinste Detail zu merken und sie mit Bleistift oder Kohle wiederzugeben. Normalerweise war das keine brauchbare Fähigkeit, sie taugte nur als Hobby,doch in Fällen wie diesem war sie nützlich. Mein Kopf wurde leer, ich sank in eine dämmrige Trance und füllte in den folgenden zwei Stunden das weiße Blatt mit ihren Augen, ihrer Nase und der Kerbe im Schneidezahn, die ihr Lachen ein klein wenig unperfekt machte. Sie hatte sehr klar abgesetzte Augenbrauen.
    Ein paar Mal merkte ich, dass etwas falsch war, dass ihre Augen zu groß oder zu traurig waren, und radierte es weg.
    Mein Handy vibrierte in meiner Jacke und holte mich zurück ins Zimmer. Ich rieb mir die Augen und las:
    VERDAMMT ARSCHKALT HIER. BIN BALD ZURÜCK. TU NICHTS, WAS ICH NICHT AUCH TUN WÜRDE. SCHASTLIVO! M XXXX
    Ich musste lächeln bei der Aussicht, dass Mark die Stille hier brechen würde, besonders so kurz vor Weihnachten. Ich klappte den Laptop auf und googelte schnell das russische Wort. Es bedeutete »sei glücklich«. Er hatte es schon mal benutzt, doch es war schwer zu behalten.
    Erneut vibrierte das Telefon. Ich kannte die Nummer. Bevor ich mich meldete, blickte ich auf die Uhr.
    »Hi, Mackie. Was ist los?«
    »Fünf Riesen, wenn du sofort kommst.«
    Obwohl Mackenzie Woolstenholme zu seiner Zeit ein ziemlich angesehener Drogendealer gewesen war, hatte seine Stimme nie so recht den nervösen, überdrehten Ton eines Jugendlichen, der mit fremden Erwachsenen sprach, verloren.
    »Alles in Ordnung?«
    »Weiß nicht, wen ich sonst fragen soll, ich sitze in der Scheiße, Nic, so richtig fett in der Scheiße …«
    »Immer mit der Ruhe! Was ist denn passiert?«
    »Kann ich nicht am Telefon sagen, bitte, ich brauch einfach jemanden, dem ich irgendwie vertrauen kann …«
    »Gott, schon gut. Wenigstens ein kleiner Tipp?«
    » Bitte , bitte! Ich erklär’s dir … ich kann jetzt nicht … Scheiße, zehn Riesen! Zehn Riesen, wenn du willst, bloß beweg jetzt deinen Arsch hier rüber!«
    Es würde furchtbar werden, das merkte ich jetzt schon. Wenn man das Schlimmste gesehen hatte, das Menschen zu solch entwürdigender Verzweiflung treiben konnte, dann war es spannend zu verfolgen, wie sehr der Anlass von Mensch zu Mensch variierte.
    Das Bild,

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