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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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das mir sofort vor Augen stand, war wenige Monate alt. Ich hatte rauchend in der Ecke eines Lagerraums gesessen und darauf gewartet, dass Mark seinen Job erledigte und einem Kinderschänder die Zehnägel zog, damit wir noch rechtzeitig zur Werbung ins Kino kamen. Ich rauchte drei Zigaretten, und der Mann gab keinen Laut von sich, erduldend und resigniert. Selbst Mark war beeindruckt gewesen.
    »Gut, ich komme rüber.«
    »O Gott, danke, vielen Dank. Wir treffen uns vor der Tür.«
    Ich legte auf und vergewisserte mich, bevor ich losfuhr, mit einem Blick in den Kofferraum, dass ich für alle Eventualitäten gerüstet war: Klebeband, Bügelsäge, Handschuhe. Während der Fahrt versuchte ich, mich an den Namen des Mannes zu erinnern, der so entschlossen geschwiegen hatte, doch er wollte mir nicht einfallen, so wenig wie all die anderen.
    Im grellen Licht der Scheinwerfer tauchte Mackie vor seinem Haus auf, drückte sich am Rande des Bürgersteigs herum, die Arme vor der Brust verschränkt wie ein Tramper, der Buße tut. Er war ein unglücklich wirkender Mann von Anfang fünfzig, hatte seinen Mangel an Ästhetik jedoch immer durch dümmliches Geplauder und die Fähigkeit ausgleichen können, sich alles und jeden zum Kumpel zu machen.
    Ich stieg aus, und sofort hing er mir am Arm, versuchte sich mit bebenden Lippen an einer beschwörenden Rechtfertigung. »Lass mich nicht hängen, Nic, Kumpel, bitte. Du bist der einzige, den ich anrufen konnte.«
    »Ach, mich kann man nicht mehr schocken.« Lächelnd verbarg ich meine Neugier, so gut ich konnte. »Was ist passiert?«
    »Ich war bei der Arbeit und …« Er führte mich über den Weg zum Haus und durch die Tür, schaute noch mal die Straße hoch und runter, ehe er die Tür hinter uns schloss. »Als ich zurückkam … Ich kann da nicht reingehen, ich schaff’s nicht.«
    Im Flur roch es nach Qualm und schwach nach Weihrauch; dazu noch etwas anderes. Afrikanische Stammesmasken grinsten von den Wänden.
    Ich folgte seiner Geste in Richtung Wohnzimmertür, ließ ihn im Flur zurück, atmete durch die Zähne. Der schwache Fäkalgeruch wurde stärker.
    Ich hatte schon eine Vorstellung davon, was ich zu sehen bekommen würde. Egal, ob es ein Unfall, ein Selbstmord oder das sorgfältige Arrangement eines psychisch Kranken war – nach einer Weile sah alles gleich aus. Es war nur selten eine Identität zu erkennen. Körperteile waren nicht mehr als Versatzstücke eines Do-it-yourself -Regals. Man konnte sehen, was sie hätten sein können oder was sie gewesen waren, doch wir alle waren nicht viel mehr als Holz und Styropor.
    » Wahnsinn! « Ich öffnete die Tür, würgte und musste kurz den Blick abwenden, eine Hand vor dem Mund, Galle brannte mir in der Kehle.
    Hinter mir blinzelte Mackie durch seine Finger, schüttelte den Kopf.
    »Verdammte Hacke …«
    Das nackte Etwas, das rechts auf dem Ledersofa saß, hatte die Gestalt eines Mannes, doch die Haut war von so viel Flüssigkeit gedehnt, dass alle Gliedmaßen ballonartige Form angenommen hatten. Sie war außerdem durchzogen von geplatzten Blutgefäßen und schimmerte an den Stellen, wo zu großer Druck sie hatte platzen lassen und unaussprechliche Flüssigkeiten herausgesickert waren.
    Über den Kopf war eine Plastiktüte gezogen, grau und beschlagen vom tödlichen Japsen, und an den Füßen – die Knöchel wölbten sich über dünne Riemen – klemmten schwarze High-Heels.
    »Das«, sagte ich und schluckte. »Das ist ganz schön abartig.«
    »Das darfst du niemandem, im Ernst, das darfst du niemandem erzählen!«
    »Warum sollte ich? Ich weiß ja gar nicht, wer das ist«, gab ich zurück und zwang mich, Mackie anzusehen, der sich zitternd die Hände vor die Augen hielt. »Scheiße, nicht gerade besonders würdevoll, so ein Abgang.«
    »Nein, ich meine, du darfst keinem …« Er war den Tränen nahe – ein furchtbarer Anblick bei einem Mann. »Du darfst niemandem von mir erzählen, von dem hier.«
    Als mir langsam dämmerte, was er meinte, konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Zwischen Mackie und den Stilettos fühlte ich mich wie in einer perversen Ausgabe der Versteckten Kamera. Aber es war eine erfrischende Neuigkeit.
    »Mein Gott«, sagte ich. »Du hast einen toten Wichser mit Stöckelschuhen im Wohnzimmer liegen, der entsorgt werden muss, und du machst dir mehr Sorgen, die Leute könnten erfahren, dass du schwul bist?«
    »Das ist nicht witzig, verdammt noch mal«, fuhr er mich an und zeigte mit dem Finger auf mich.

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