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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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Treppe, die zur Royal Festival Hall empor führte, und Matt zog uns darunter, um vor dem Wetter geschützt zu sein. Mir fiel auf, dass er so gut wie nie Emmas Namen nannte.
    »Wir sagten ihr alle, sie soll die Schnauze halten, und Felix sagte ihr auch, sie soll die Schnauze halten, aber sie drehte total durch …« Er breitete die Hände aus, als ob das alles erklärte. »Da hat Felix … sie einfach erschossen.«
    Die Umrisse in meinem Kopf. Emma. Felix. Kopfschuss.
    »Und?«
    »Wir sollten uns verpissen.« Er zuckte mit den Achseln, aber sein Gesicht war angespannt. Selbst wo die Haut nicht geschwollen war, leuchtete sie rot vor unterdrückter Angst. »Das war’s für uns. Keine Drogen mehr, kein Geld mehr, nur … Maul halten und keine Fragen stellen.«
    »Und da habt ihr sie einfach so liegenlassen?«
    »Sie war doch schon tot, Mann. Er meinte, er würde sich drum kümmern – keine Ahnung, was wir hätten tun sollen.« Wieder schlug er die Hände vors Gesicht. »Keiner von uns dachte … Das war doch alles echt nicht wahr.«
    Bei der Vorstellung, diese Geschichte Pat und Clare zu unterbreiten, wurde mir ganz anders.
    »Tja, es ist aber wahr, also reiß dich zusammen«, sagte ich, um ihn aus seinem Selbstmitleid zu holen. »Hör mal, als du gesagt hast, Emma hätte Probleme, was meintest du damit?«
    »Was?«
    »Du hast irgendwas über ihre Eltern gesagt.«
    Das Schweigen dauerte mir ein bisschen zu lange.
    »Mit ihrem Vater kam sie wohl ganz gut klar, glaube ich«, sagte Matt. »Aber ihre Mutter konnte sie anscheinend nicht besonders gut leiden. Ich hab die beiden nie kennengelernt, deshalb weiß ich es nicht.«
    »Was hat sie denn gesagt? Was genau, meine ich?«
    Er sah mich an, als würde ich vom Drehbuch abweichen, ein Gesichtsausdruck, der mich nervös machte, doch dann überlegte er es sich noch mal, als würde er mir einen Gefallen tun.
    »Also, sie sagte immer, sie hätte genug von ihrer Mutter«, erklärte er mit Blick auf die Uhr. »Sie meinte, sie wäre ein … Freak. Komisches Wort, irgendwie. ›Meine Mutter ist voll der Freak‹, sagte sie oder: ›Ich hab die Schnauze voll von ihren Hirnficks.‹ Das sagte sie oft. Dann sagte sie, ihre Mutter hätte wieder ihre ›Hirnficknummer‹ drauf oder ihr ›Hirnfickprogramm‹. Ich hab’s nie richtig verstanden, ehrlich gesagt.«
    »Danke«, sagte ich. »Wollte ich nur wissen.«
    In Gedanken sah mich Clare an, und ich empfand ein seltsames Gefühl, als würde jemand von innen an meinem Schädel rumkratzen. Matt mochte es nicht verstanden haben, ich schon. Oder zumindest war ich kurz davor. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich würde das ganze Bild sehen, das Familienporträt, wurde es verschwommen.
    »Glaubst du denn …?«
    Matt hatte wieder auf die Uhr geschaut, ich sprach schneller.
    »Glaubst du denn, Felix war derjenige, der sie vergewaltigt hat? Der sie zusammengeschlagen hat?«
    Er trat von einem Fuß auf den anderen, kämpfte gegen den Drang zu gehen an.
    »Komm, Matt, lass mich nicht im Stich!«
    »Felix, der ist … Das ist auch ein Freak. Verdammt, ich … Keine Ahnung. Ich weiß es nicht, wir haben einfach keine Fragen gestellt. Er hat uns einen Zettel hinterlassen … ›Stellt keine Fragen‹. Stellt …«
    Jemand ging zu nah an uns vorbei, Matts Blick folgte ihm, jede Farbe wich aus seinem Gesicht, er drückte den Arm an seine Brust. Die Schritte entfernten sich, aber Matt war kurz davor, durchzudrehen.
    »Stellt keine Fragen« klang nicht gerade typisch für den Felix, den ich kennengelernt hatte. Es klang amateurhaft im Vergleich zu den sorgfältig ausgewählten literarischen Zitaten, mit denen ich es zu tun gekriegt hatte.
    »Aber Felix kam hinterher zu euch?«, fragte ich.
    »Hab ich das nicht gesagt?« Matt entfernte sich rückwärts, kam noch mal vor, unsicher auf den Beinen, und drückte mir etwas in die Hände, das sich wie ein Zettel anfühlte. »Hier, meine Nummer …«
    »Matt!« Ich packte ihn an den Handgelenken, er wehrte sich. »Matt, komm!«
    »Nein, bitte, bitte , ich war schon zu lange hier!«
    »Matt …«
    »Scheiße, Mann, der findet mich!«
    Ich ließ ihn los, er taumelte davon, zeigte mit dem Finger auf mich.
    »Komm mir nicht hinterher!«, zischte er. »Komm mir verdammt noch mal nicht hinterher!«
    »Schon gut!« Ich hob die Hände. »Schon gut!«
    Mit einem nervösen Zucken drehte er ab und trat wieder in den Regen. Er nahm die Stufen so schnell, wie sein Humpeln es erlaubte, und ich folgte ihm nicht. Er hatte nicht

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