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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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auf die Füße sinken, wiegte sich, tanzte wieder quer durch den Raum, als bestehe ihr Körper lediglich aus Luft oder Wasser.
    Mit ausgestreckten Armen glitt sie dahin, hielt inne und ging in den Spagat, kam wieder hoch und wirbelte erneut auf die Kamera zu. Dort angekommen fiel sie auf die Knie, ihr Gesichtkam mir zu nah. Eine Weile bewegte sie die Lippen zur Musik, die Augen geschlossen, nur ein »Lalala …«
    Ich spürte einen Adrenalinstoß, als müsse ich fliehen oder kämpfen, als würde ich angegriffen.
    »Hm«, machte Mark.
    Ich hatte den Eindruck, dass er nur ein Geräusch von sich gab, um die aufgeladene Stimmung zu entschärfen.
    Sie öffnete die Augen, lächelte wieder und blies der Kamera einen Kuss zu. Ihre Lider waren dunkel geschminkt, so dass es wirkte, als lägen ihre Augen noch tiefer in den Höhlen.
    Ich warf Mark einen kurzen Blick zu, doch sein Ausdruck war unverändert. Ich erkannte ein kaum wahrnehmbares Stirnrunzeln.
    Clare stand auf, streifte mit den Fingerspitzen den Saum ihres Kleids, hob die Arme wieder über den Kopf und wirbelte auf die Wand hinter ihr und das Regal mit der Statue zu.
    Ich räusperte mich, und das Geräusch kam mir verdächtig vor. Ich konnte nichts dagegen tun, aber wünschte mir, Mark wäre nicht da. Wenn er nicht zugesehen hätte, hätte ich erregt sein können, ohne mich schuldig zu fühlen. Stattdessen konzentrierte ich mich auf meine Übelkeit und Verwirrung, weil ich nicht viel Lust darauf hatte, in seiner Anwesenheit einen Ständer zu bekommen.
    Im Drehen sah sie mir in die Augen, ohne zu blinzeln. Sie tanzte Spitze, streckte das angewinkelte Bein nach hinten aus, hielt die Pose und ließ sich wieder sinken. Sie nahm ihr Haar in die Hand und drehte sich erneut, hielt inne, ließ das Haar vor und zurück schwingen, als habe sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle, als würde sie von Fäden gezogen, die ihre Bewegungen diktierten.
    Mark schniefte.
    Ich sprang auf.
    Sie reckte ein Bein hinter sich in die Höhe und verharrte so, die Arme über dem Kopf, die Augen auf die Kamera gerichtet.
    » Attitude« , murmelte Mark mit französischem Akzent.
    Mit einem Blick über die Schulter löste sie die Pose auf, drehte noch eine Pirouette und lief auf das Objektiv zu, bis das Bild verschwamm.
    Der Film hielt an.
    Das Letzte, was ich flüchtig gesehen hatte, war ihr Gesicht. Ohne etwas zu sagen, nahm ich die Maus und zog das Video zurück zur letzten Einstellung. Ihr Gesichtsausdruck war leer, angespannt vor Konzentration. Gleichzeitig hatte ich sie noch nie so ruhig gesehen.
    Ich wollte, dass Mark als Erster sprach.
    »Warum sie wohl mit dem Tanzen aufgehört hat«, sagte er.
    Das war das Letzte, was ich jetzt von ihm erwartet hätte.
    »Was?«
    »Na ja, sie ist immer noch gut, oder? Ich frage mich, warum sie aufhören musste.«
    »Ich …« Ich hatte nicht gefragt. »Keine Ahnung.«
    Mark übernahm die Maus und spielte das Video noch mal von vorne ab. Ich war froh, dass er es getan hatte, nicht ich.
    Wir sahen wieder zu, bis Clare direkt vor der Kamera kniete.
    Lalala …
    Mark drückte auf Pause und musterte sie eine Weile. Es war das erste Mal, dass ich ihn beunruhigt sah.
    »Ist ein bisschen komisch, nicht?«, versuchte ich seinen Stimmungswechsel zu kommentieren.
    »Hm. Sie ist ziemlich … faszinierend.« Er warf mir einen kurzen Blick zu und rieb über die Gänsehaut auf seinen Armen. »Was will sie von dir? Hat sie irgendwas gesagt?«
    »Nein. Ähm … nein.«
    »Nein?«
    Als ich daran dachte, was bei unserem letzten Treffen passiert war, fuhr mir ein Schauder über den Rücken. Ich klopfte mit dem Fuß auf den Boden, hörte aber sofort auf, als Mark hinuntersah.
    »Ist was passiert?«
    »He, nein. Ich meine … Nein, überhaupt nichts.«
    »Ich bin doch nicht bescheuert, Nic«, sagte er lächelnd.
    »Es ist nichts passiert. Wirklich nicht.« Ich zögerte. »Das heißt aber nicht, dass ich … dass ich nicht …«
    »Gewollt hätte. Verstehe.« Er nickte und ließ das Video weiterlaufen. »Du weißt aber schon, dass sie mit dir spielt?«
    Jetzt saßen wir nebeneinander, meine Hände waren zu sehen. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu verteidigen.
    »Ha, Einzelkind«, sagte er, als sie auf die Kamera zulief und verschwand. »Guck dir das Gesicht an.«
    »Woher willst du das denn wissen?«
    »Na ja, auf der Beerdigung hab ich mit ihrer Mutter gesprochen, und Geschwister waren nicht da.« Er zwinkerte mir zu. »Aber mal im Ernst, guck dir das Gesicht an, ein

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