Kalter Schmerz
Nummer zu wählen, die er mir gegeben hatte, legte mein Handy auf das Armaturenbrett und parkte den Wagen vor Edies seltsam geometrischem Haus. Heute Morgen hatte ich beschlossen, es nicht länger vor mir herzuschieben.
Ich drückte auf die Klingel.
Nach kurzem Warten öffnete Scott die Tür, ohne die Kette vorgelegt zu haben. Ich hatte gehofft, dass nicht er derjenige wäre, der mir aufmachte.
Aus der Nähe hatte er eine unheimliche Ähnlichkeit mit seiner Mutter, nur das Kinn war anders. Von den Lippen aufwärts war alles wie bei ihr, selbst der direkte Blick, was bei einem Kind von dreizehn, vierzehn Jahren noch auffälliger war.
»Hallo, Scott«, sagte ich mit einem düsteren Lächeln, von dem sich Edie niemals hätte täuschen lassen. »Ist dein Vater zu Hause?«
»Er ist unterwegs, Kaffee holen, aber er kommt gleich wieder. Sind Sie ein Freund von ihm?«
Schnell ging ich im Kopf durch, was ich über Edie wusste. »Ähm … ja, genau genommen bin ich ein Freund deiner Mutter. Wir waren eine Zeitlang zusammen an der NYU .«
»Sie kommen aus New York?« Scotts Gesicht leuchtete auf, er hatte auch ihr Lächeln. »Cool.«
»Hab eine Weile da gewohnt. Anscheinend nicht lange genug, um den Akzent zu übernehmen.«
»Wollen Sie auf ihn warten?«
Ich hatte einen Kupfergeschmack im Mund, und meine Taschen fühlten sich schwer an. »Ja, das wäre toll, danke.«
Als er mich ins Haus ließ, fiel mir auf, dass er ein T-Shirt mit einem Schwarzweiß-Druck trug. Er zeigte ein Mädchen, das mit herzförmiger Sonnenbrille auf der Straße hockte, eine Zigarette zwischen den Fingern. Der Junge besaß das ungebrochene Selbstvertrauen der oberen Mittelklasse. Als ich in seinem Alter war, hatte ich mich schwer damit getan, Erwachsenen in die Augen zu blicken – auf gewisse Weise war das bis heute nicht besser geworden.
Überall in den offenen Räumen hatte Edie ihre Spuren hinterlassen – ein Zuviel an Glas, abstrakte Kunst aus verdrehtem Metall. Anders als ich erwartet hatte, standen Massen von Büchern herum, ein Regal neben dem anderen.
»Möchten Sie was trinken?«, fragte Scott, als er mich in die Küche führte.
»Ja, gern, was hast du denn da?«
»Kaffee erst wieder, wenn mein Vater zurück ist, aber wir haben Saft, Tee … vielleicht Mums schwulen Früchtetee oder so?«
Ich lehnte mich an einen Hocker vor der Frühstückstheke. »Saft wäre super, danke.«
Die DVD s waren wahrscheinlich oben. Die Treppe verlief entlang der Wohnzimmerwände, eine dieser modernen ohne Geländer. Mein Herz begann schneller zu klopfen, ich versuchte, mich zu beruhigen.
»Hast du deine Mutter in letzter Zeit oft gesehen?«, fragte ich.
»Nee, nicht oft. Sie arbeitet viel. Dad auch, aber sie arbeitet rund um die Uhr.« Er schob ein Glas O-Saft über die Frühstückstheke. »Ich habe nicht viel von ihr gesehen, seit Dad sie rausgeworfen hat.«
»Tja, hab ich gehört … tut mir leid.«
Er zuckte mit den Schultern und hievte sich auf einen Hocker mir gegenüber. »Besser so, als dass sie sich ständig in den Haaren liegen.«
»Ist denn was passiert?«
»Sie hat den Toaster nach ihm geworfen, dann sollte ich auf mein Zimmer gehen.« Scott lächelte. »Wenn ich daran zurückdenke, war es irgendwie komisch. Sie finden es jetzt jedenfalls komisch.«
Irgendwie wirkte er verstörend unkompliziert. War das der Vorsprung, den alle reichen Kids hatten? Wahrscheinlich. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass er mit Drogen experimentierte, hin und wieder mal eine Tüte rauchte oder vielleicht mal auf einer Party eine Line Koks durchzog, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Kinder wie Scott mal so richtig Scheiße bauten. Nicht so wie andere Kinder. Es war beeindruckend, dieses Maß an Zuversicht, das man hatte, wenn man wusste, dass man immer von einem finanziellen Sicherheitsnetz aufgefangen würde.
Ich mochte ihn.
»Dein Vater hat ganz schön viele Bücher für einen Ami«, bemerkte ich.
»Er hat einen Fimmel.« Scott verdrehte die Augen. »Er findet, man soll seine Geschichten besser mitnehmen, dann kann keiner die Erinnerungen vernichten, wenn man nicht mehr da ist.«
»Ziemlich cool«, bemerkte ich.
»Er ist in Ordnung, manchmal ist er etwas dämlich.«
Die Haustür ging auf, ich verkrampfte.
Scott machte sich nicht die Mühe aufzustehen, sondern rief: »Dad, hier ist ein Freund von dir!«
Ich schaute mich über die Schulter um, und Sidney sah mich, kaum dass er die Haustür geschlossen hatte. Er rieb sich die
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