Kalter Schmerz
Schatten‹ – von wem ist das?«
Bis jetzt schien die Bedeutung der Worte nicht wichtig gewesen zu sein. Doch alles, was bisher belanglos war, hatte nun Gewicht – es war ein Schlamassel, ein beschissenes Schlamassel.
»Edgar Allen Poe, ›Schweigen‹«, sagte er belustigt. »Ähm, nur geraten. Bekomme ich jetzt einen Preis?«
»Nein, ich … Das habe ich bloß von jemandem gehört, und es ließ mir keine Ruhe. Ich wusste, dass es von Poe ist, aber … was bedeutet es?«
»Das Sonett ›Schweigen‹? Hm … da geht es um den Tod, glaube ich, wie so gut wie bei allem von ihm.« Mark verschränkte die Arme, blickte nach oben, auf der Suche nach Antworten. »Ist natürlich unsachlich, ist es ja immer, aber man könnte behaupten, dass Poes Leben eine Aneinanderreihung von Todesfällen ihm nahestehender Personen war.«
»Mein Gott … optimistischer Typ.«
»Tja, geht es nicht uns allen so?« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn du eine Bindung mit jemandem eingehst, verpflichtest du dich zwangsläufig, dem anderen beim Sterben zuzusehen. Das liegt in unserer Natur. Ich meine, du und ich, wir werden nicht ewig leben. Wer von uns wird zuerst dran sein?«
Ich schluckte. »Da hab ich wohl noch nie drüber nachgedacht.«
»So, und darüber spricht Poe. Hm, ›dieser Schatten in ihm …‹«
»›Denn ihm gebricht zum Bösen jede Macht‹?«
Er sah mich an, wirkte müde, besorgt. »Nic, ist alles in Ordnung?«
Ich zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf, streckte die Hände aus und beobachtete, wie er die nichtssagenden Gesten verfolgte.
»Weiß ich nicht«, sagte ich.
»Ich gehe jetzt duschen, ja?« Er drückte meine Schultern,wie ein Boxtrainer. »Immer mit der Ruhe, Mann. Immer mit der Ruhe.«
»›Ich habe keine Zeit zum Bluten‹«, erwiderte ich mit abschätzigem Schnauben.
Mark lächelte und bummelte schniefend ins Bad. Als er die Tür abgeschlossen hatte, versteckte ich, nachdem ich einen letzten Blick auf die Zeichnung geworfen hatte, den Notizblock wieder unter dem Sofa, dann stürzte ich aus der Wohnung.
Ein Wagen mit getönten Scheiben hielt ein Stück vor mir an der Straße. Die Männer, die ausstiegen, erkannten mich sofort, und Ronnie O’Connell schlug grinsend die Beifahrertür zu.
»Caruana, du schlüpfriger Mistkerl, wo bist du die ganze Zeit gewesen?«
Immer hörte ich Ronnie zuerst, bevor ich ihn sah. Er kam um den Wagen herumgetänzelt und schlug mir mit einer Kraft auf die Schulter, die mich niedergestreckt hätte, wenn ich nicht darauf vorbereitet gewesen wäre.
Er war ein großer Typ, breit und auf düstere Art gutaussehend. Das Italienische in seinen Zügen war nicht so verwässert wie bei mir, er hatte dunklere Haut und die dazu passenden Augen. Wenn er nichts sagte und somit nicht verriet, dass er keinen Akzent hatte, konnte man ihn für das Original halten: der typische Mafioso aus Siebziger-Jahre-Filmen.
»Arbeiten«, sagte ich.
»Du hast dich ’ne ganze Weile nicht gemeldet. War Cassie in Ordnung?«
Ich erinnerte mich nur noch schwach an die blonde Norwegerin. Es war mindestens sechs Monate her, dass ich ihre Dienste in Anspruch genommen hatte. Ich wusste nur noch, dass sie ein süßes Lachen und eine Vorliebe für Handschellen hatte.
»Ja, Mann, ja, die war super. Hatte damit nichts zu tun, ich hab bloß echt verdammt viel zu tun gehabt, weißt du.«
»Wem sagst du das!« Er verdrehte die Augen und gab den beiden anderen Männern ein Zeichen, sich in Bewegung zu setzen. »Komm mit und erzähl mir was, Nic.«
Wir gingen ein paar Schritte hinter seinen Begleitern her. Es waren seine üblichen Sicherheitsleute. Bei dem größeren kam mir der Name Ben in den Sinn, aber ich war mir nicht ganz sicher.
»Und, was gibt’s?«, fragte Ronnie und zündete sich mit einigen Schwierigkeiten eine Zigarette an.
»Es geht um Felix Hudson«, sagte ich.
Er lehnte sich leicht zurück und schaute in die Fenster eines vorbeifahrenden Taxis. »Hudson?«
»Kennst du ihn?«
»Klar, wer nicht? Was willst du von ihm?«
»Rein geschäftlich.«
»Geschäftlich!« Er lachte. »Du dreiste Sau, vergiss nicht, dass ich weiß, was du geschäftlich machst. Also, warum fragst du nach Hudson?«
»Ich will wissen, ob er im Underground rumhängt.«
»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«
»Eine Quelle behauptet: ja.«
»Ha, eine ›Quelle‹. Und da dachtest du, du lässt es dir von mir bestätigen?« Er schüttelte den Kopf und blies Rauch durch die Nase. »Ganz bestimmt
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