Kalter Süden
Decke tanzen.
Stig Seidenfaden räusperte sich und beugte sich über den Tisch.
»Rickard sagte, Sie seien an einem Interview mit einem skandinavischen Rechtsanwalt in Gibraltar interessiert«, begann er. »Wir sind nicht so viele. Und eine aus unseren Reihen ist im Winter verstorben.«
»Sie meinen Veronica Söderström«, sagte Annika.
Der Mann nickte.
»Wir Nordlichter halten zusammen. Rickards Freunde sind auch meine Freunde. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Kannten Sie Veronica Söderström?«
Stig Seidenfaden schenkte sich Tee aus einer Kanne ein und seufzte.
»Sie war keine Busenfreundin von mir, aber natürlich kannten wir uns. Tee?«
Annika hielt ihm ihre Tasse hin, und der Rechtsanwalt goss ihr ein. Das dünne Porzellan war mit Rosen und Goldrand verziert. Die Untertasse hatte eine kleine Macke.
»Auf welchen juristischen Bereich war Veronica Söderström spezialisiert?«
Der Anwalt sah sie ein wenig überrascht an.
»Ihr Gebiet war wohl noch ein wenig breiter angelegt als meins. Sie hat sowohl Geschäftsrecht als auch Strafrecht gemacht. Ich meine mich zu erinnern, dass sie sogar eine Zulassung als Notar hatte. Ich beschäftige mich lediglich mit corporate services. «
»Also Unternehmen und Steuern«, sagte Annika.
Er nickte.
»Können Sie mir erklären, wie das Steuersystem in Gibraltar funktioniert?«
Wieder nickte er und rührte in seiner Teetasse.
»Seit 1967 besteht die Möglichkeit, hier steuerfreie Unternehmen zu gründen«, sagte er, »aber erst als Spanien 1985 Mitglied der EG wurde, kamen die Geschäfte richtig in Fahrt.«
Sie packte Block und Stift aus und schrieb mit.
»Kann hier jeder ein Unternehmen gründen?«
Der Anwalt lehnte sich zurück, hielt die Tasse an dem zarten Henkel fest und spreizte den kleinen Finger eine Winzigkeit ab.
»Man muss diverse Kriterien erfüllen: Das eingezahlte Grundkapital des Unternehmens muss sich mindestens auf 100 englische Pfund belaufen.« Er pausierte, damit sie sich Notizen machen konnte.
»Der Inhaber darf nicht in Gibraltar wohnhaft sein, und das Unternehmen muss seine gesamten Erträge außerhalb der Kronkolonie erwirtschaften.«
Sie warf einen raschen Seitenblick auf den Mann, seine wichtige Miene und den strammen Bauch unter den Hemdknöpfen.
War Veronica Söderström jeden Tag nach Gibraltar gefahren, um sich mit solchen Dingen zu beschäftigen? Um an der Grenze zu Afrika, in einem Land, das keines war, eine Art verwaschene britische Geschäftsmoral aufrechtzuerhalten?
»Die offizielle Adresse des Unternehmens und das Aktionärsregister müssen sich hier befinden. Und schlussendlich muss der Firmengründer ein Führungszeugnis und eine Referenz über seine finanzielle Lage vorlegen.«
Sie bemühte sich, interessiert zu wirken.
»Wer gibt einem so eine Referenz?«
»Die muss von einer Bank, einem Anwalt oder einem Wirtschaftsprüfer ausgestellt werden.«
Annika nickte, davon hatte schon Rickard Marmén gesprochen.
»Und in all diese Unternehmen wird kein Einblick gewährt?«
»Nein. Sämtliche Informationen werden vertraulich behandelt und sind in keinem öffentlichen Register zugänglich.«
»Und alles ist von der Steuer befreit?«
»Es gibt hier keine Einkommenssteuer, keine Unternehmenssteuer auf Gewinne, keine Stempelgebühr bei Aktienübertragungen und auch keine Quellensteuer. Keine Grundsteuer und keine Erbschaftssteuer. Einzig die jährliche Abgabe von 225 englischen Pfund ist obligatorisch.«
Annika schüttelte unwillkürlich den Kopf.
»Das ist schon einigermaßen seltsam«, sagte sie, »dass so etwas in Europa noch möglich ist.«
»Nicht mehr allzu lange«, sagte der Rechtsanwalt. »Sie sind dabei, die Regeln zu ändern, dieses System wird es ab 2010 nicht mehr geben. Die EU schiebt der Sache einen Riegel vor.«
Sie sah ihn an, während er seinen Tee schlürfte.
»Obwohl sich natürlich andere Lösungen finden lassen«, sagte er. »Wie immer.«
»Wird man nach 2010 Einblick in die Unternehmen erhal-ten?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Seidenfaden. »Haben Sie die Scones schon probiert? Hat meine Frau gebacken.«
»Ihre Frau?«
»Und Sekretärin.«
Er bestrich ein Stück Gebäck mit Orangenmarmelade. Es knirschte, als er hineinbiss.
»Ich habe mit Leuten gesprochen, die Gibraltar als die größte Geldwaschanlage Europas bezeichnen«, sagte Annika. »Was meinen Sie dazu?«
Der Rechtsanwalt kaute geruhsam auf seinem Scone und tupfte sich mit einer Serviette Marmelade aus den
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