Kalter Süden
Mundwinkeln.
»Ich bin Rechtsanwalt«, sagte er, »nicht Staatsanwalt. Ich bin hier, weil ich meinen Klienten vertraue. Wenn sie mir sagen, ihre Einkommensquelle sei legal, dann ist es nicht meine Aufgabe, ihre Angaben in Frage zu stellen. Das darf man nicht vergessen. Aber selbstverständlich stelle ich selbst nur Referenzen für Klienten aus, deren Unbescholtenheit ich persönlich garantieren kann.«
»Sehen Sie Gefahren in diesem System?«
Er lehnte sich wieder zu ihr herüber.
»Wir Juristen haben das nicht erfunden«, erklärte er. »Wir sorgen lediglich dafür, dass es befolgt wird. Von Kollegen, die sich aktiv an Geldwäsche beteiligen, die sich Strippenzieher besorgen und zwischen den Gesetzen Slalom fahren, distanziere ich mich nachdrücklich.«
»Kennen Sie denn welche?«
Er sah sie an und lächelte.
»Selbst wenn ich das täte, glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen das sagen?«
Sie erwiderte sein Lächeln höflich.
»Nein«, sagte sie, »das glaube ich nicht. Darf ich Sie fotografieren?«
Verwundert hob er die Augenbrauen.
»Ja«, sagte er, »das dürfen Sie gerne. Wo? Hier?«
»Vielleicht in Ihrem Arbeitszimmer? Mit ein paar Ordnern und Unterlagen um Sie herum?«
Normalerweise sollte man es ja vermeiden, Männer hinter ihren Schreibtischen abzulichten, aber in diesem Fall konnte solch ein Bild sinnvoll sein. Die Leser konnten sich beim Anblick der Ordner fragen, was darin verborgen war, und dabei die Geldwaschanlage im Hintergrund rumoren hören.
Er schüttelte den Kopf.
»Da lasse ich niemanden hinein.«
Schlauer Kerl.
Sie nahm die Kamera zur Hand, schaltete sie ein und hielt den Sucher vors rechte Auge.
Es sah ein bisschen seltsam aus. Im Hintergrund stand eine Topfpflanze, und der Anwalt saß in gerader Linie zwischen ihr und der Pflanze, so dass es schien, als wüchse dem Mann eine Blume aus dem Kopf.
»Können wir hinüber zum Fenster gehen?«, schlug sie vor. »Wegen des Lichts …«
Sie platzierte den Mann in einem der Fensterrahmen, mit dem Profil zur Scheibe. Das Tageslicht war weich und indirekt. Die Hälfte seines Gesichts war deutlich zu erkennen, die andere lag im Schatten. Kein schlechter Effekt.
Sie machte noch ein paar Fotos von ihm am Konferenztisch, dann war sie fertig. Gemeinsam gingen sie hinaus in den kleinen Korridor, die Sekretärinnen-Frau materialisierte sich geräuschlos und erkundigte sich, ob alles zu ihrer Zufriedenheit gewesen sei. Sie sprach mit englischem Akzent.
»Sehr gut«, sagte Annika höflich. »Und danke für die Scones, sie waren sehr lecker.«
Dann fiel ihr ein, dass sie gar keines gegessen hatte.
»Ach, wegen Veronica Söderström«, beeilte sie sich zu sagen, »wo war eigentlich ihr Büro?«
»Das existiert wohl nach wie vor«, sagte Stig Seidenfaden. »Drüben bei Tareq’s Passage. Gegenüber der Kirche.«
Annika zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu, reichte dem Anwalt die Hand und verabschiedete sich.
»Grüßen Sie Rickard!«, rief Stig Seidenfaden ihr ins Treppenhaus hinterher.
Der Strom von Menschen auf der Main Street hatte sich zu einer dichten Menge entwickelt. Die Straße stieg leicht an. Annika holte ihre Kamera hervor und stellte sich auf eine Parkbank. Mit der Zoom-Funktion quetschte sie die Leute noch dichter zusammen. Sie knipste ein paar Bilder im Querformat, einige hochkant.
So, das reichte an Übersichtsfotos.
Sie blieb stehen und hielt ein paar Minuten Ausschau nach einem geeigneten Fotoobjekt: Sie brauchte einen jungen Mann mit breiten Schultern und engsitzenden Jeans.
Er kam die Main Street herauf, den Arm um seine Freundin gelegt. Er trug sogar ein Sport-Shirt.
»Hello« , sagte Annika und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
Überrumpelt blieb das Paar stehen, und beide schüttelten ihr die Hand. Ein unwillkürlicher Reflex bei allen Westeuropäern.
Sie sei Fotografin, erklärte Annika und fragte, ob sie den jungen Mann von hinten ablichten dürfe. Sie brauche ein anonymes Bild von einem Mann für einen Zeitungsartikel.
Der Mann horchte auf, aber seine Freundin wurde sauer.
»Wozu soll das gut sein?«, fragte sie.
»Was ist das denn für ein Artikel?«, fragte der Mann.
»Er erscheint in einer schwedischen Zeitung, Abendblatt , schon mal davon gehört?«
Er schüttelte den Kopf.
Annika platzierte ihn vor der dunkelgrauen Fassade, bat ihn, sich ein wenig breitbeinig hinzustellen, mit dem Gewicht auf dem rechten Fuß, die Daumen in den Gürtelschlaufen der Jeans.
Er war beinahe eine Kopie von
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