Kalter Süden
wachte in Bahía Dorada davon auf, dass ein Typ mit einem Surfbrett einstieg.
Die Straße schlängelte sich an der Küste entlang. Das Meer trug Schaumkronen vom Wind. Der Himmel war strahlend blau und vollkommen wolkenlos. Sie wusste, dass sie sich Estepona näherten.
An der Stadt konnte es nicht liegen, dass Julia es hier so grässlich gefunden hatte, dachte sie, als der Bus zum Hafen abbog.
Die Hauptstraße verlief parallel zum Strand, gesäumt von Palmen und Orangenbäumen. Der Wind riss an den Ästen. Die Sonnenliegen am Strand waren leer, aber in den einfacheren Restaurants am Meer fanden sich die Leute zum Mittagessen zusammen.
Plötzlich merkte sie, wie hungrig sie war.
Das Jetset-Girl aus Schweden, das sie interviewen sollte, hieß Wilma. Niklas Linde hatte ihr die Handynummer per SMS geschickt.
An der Avenida de España sprang Annika aus dem Bus und wählte Wilmas Nummer.
Sie ging nach dem ersten Klingeln ran, fast klang es, als hätte sie schon den ganzen Morgen mit dem Telefon in der Hand dagesessen und auf diesen Anruf gewartet. Sie war absolut begeistert, dass sie »in der Zeitung auspacken konnte«, wie sie sich ausdrückte.
Sie verabredeten sich im Strandrestaurant unterhalb der Bushaltestelle.
»Annika Bengtzon?«
Annika schaute von der Speisekarte auf und wusste, dass die Artikelserie gerettet war.
Wilma sah phantastisch aus. Millimeter für Millimeter entsprach sie Patriks Weltbild: jung, blond, heftig geschminkt und mächtig brustoperiert.
Annika erhob sich und begrüßte sie.
»Wie schön, dass Sie so kurzfristig Zeit hatten«, sagte sie.
»Man hilft, wo man kann«, sagte Wilma und setzte sich.
Sämtliche Männer im Restaurant hatten ihr Besteck sinken lassen und starrten unverhohlen zu ihnen herüber.
»Worauf haben Sie Appetit?«, fragte Annika. »Suchen Sie sich etwas aus.«
»Haben Sie schon mal almejas gegessen? Das ist eine Muschelart, die sie hier draußen im Riff fischen. Oder mejillones ? Die sind ein bisschen größer. Hier gibt es Meeresfrüchte, die Sie noch nie gesehen haben.«
Mit sachkundigem Blick schlug Wilma die Speisekarte zu.
»Soll ich für Sie mitbestellen?«, bot sie an, ohne eventuellen Widerspruch abzuwarten. Sie lehnte sich zurück und winkte dem Kellner. Unter dem enganliegenden T-Shirt waren ihre Brustwarzen deutlich sichtbar.
»Camarero, queremos mariscos a la plancha, con mucho ajo y hierbas. Y una botella de vino blanco de la casa, por favor!«
»Hoppla«, sagte Annika. »Wo haben Sie die Sprache so gut gelernt?«
Das Mädchen sah sie überrascht an.
»In der Schule, wieso?«
Annika holte ihren Notizblock und einen Stift hervor.
»Wie alt sind Sie?«, fragte sie.
»Im Juli werde ich zwanzig.«
»Sie wissen ja, dass ich Ihre Nummer von Niklas Linde habe«, sagte Annika. »Er meinte, Sie wären bereit, mir ein bisschen über das Leben hier unten an der Costa del Sol zu erzählen …«
»Ich möchte die Leute warnen«, sagte Wilma und lächelte den Kellner herzlich an, als er eine gekühlte Flasche Weißwein und zwei Gläser auf ihrem Tisch abstellte.
»Gracias, señor, sí, quiero probarlo.«
Mit Kennermiene ließ sie den Wein ein paar Sekunden auf der Zunge rollen und nickte dann zustimmend. Der Kellner schenkte ein und sauste davon.
»Es hat vielleicht den Anschein, als ob es hier nur um Bars, Discos und Typen mit dicken Schlitten geht, aber diese Ecke hat noch eine andere Seite«, sagte Wilma und nippte am Wein.
»Die Drogendealer wollen so viel wie möglich von ihrem Stoff direkt hier an der Costa del Sol loswerden«, fuhr sie fort. »Dann müssen sie es gar nicht erst durch halb Europa transportieren und haben unterwegs keinen Schwund. Trinken Sie keinen Wein?«
Annika sah irritiert von ihrem Notizblock auf. Das Mädchen war eine wandelnde Schlagzeilenmaschine – sie musste einfach nur hier sitzen und das Diktat aufnehmen. Plötzlich entwickelte sich diese Artikelserie ja ganz hervorragend.
»Äh, doch, ich habe nur keinen Durst.«
Sie nahm einen symbolischen Schluck und fand den Wein unangenehm sauer.
»Sie sind ja lustig. Man trinkt doch keinen Wein, weil man Durst hat. Als junges Mädchen lässt man sich schnell von den süßen Jungs hier unten um den Finger wickeln. Die sind supernett und braungebrannt, haben große Boote und schnelle Autos, aber sie benutzen die Mädchen wie Gebrauchsgegenstände. Ich sehe das immer wieder. Diese schwedischen Mädchen kommen hierher und glauben, sie könnten sich einen Millionär angeln
Weitere Kostenlose Bücher