Kalter Süden
eine Schwester haben, die bei den Bullen ist?«
Es klang, als blätterte Berit in einer Zeitung.
»Na ja«, meinte sie, »für mich hört sich das eher an wie die Kehrseite der Medaille. Gegensätzliche Reaktionen auf dieselbe Kindheit sozusagen.«
»Nina ist also das weiße Schaf der Familie?«
»Es passieren die merkwürdigsten Dinge. Der vorige Präsident der USA hatte zum Beispiel einen kriminellen Halbbruder. Und mein Cousin Klas-Göran war auch schon mal hinter Gittern.«
»Bill Clintons Bruder hat im Gefängnis gesessen?«
»An seinem letzten Tag als Präsident, am 20 . Januar 2001 , hat Clinton ihn begnadigt. Ihn und hundertneununddreißig andere Verbrecher. Das scheint so Usus zu sein unter amerikanischen Präsidenten. Was macht eigentlich deine Schwester zurzeit?«
Annika hätte sich beinah verschluckt.
»Birgitta? Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt.«
Das darauffolgende Schweigen erschien wie eine Zusammenfassung ihres Gesprächs.
»Meinst du, ich sollte mit Suzettes Freundinnen Kontakt aufnehmen?«, fragte Berit schließlich.
»Lieber mit Sebastian Söderströms schwedischen Verwandten«, sagte Annika und atmete erleichtert auf. »Vielleicht haben die ja eine Ahnung, wo sich das Mädchen aufhalten könnte.«
»Das haben wir schon versucht, keiner will sich äußern.«
»Und Astrid Paulson? Alle behaupten, dass sie die Einzige war, die gut mit Suzette auskam. Vielleicht hat sie ja Verwandte, die etwas wissen?«
»Ich versuch’s«, sagte Berit. »Hast du übrigens Zeit gehabt, etwas für diese Artikelserie herauszufinden, von der Patrik die ganze Zeit redet?«
»Die Kokainküste? Ich habe noch keinen einzigen gerollten Euroschein gesehen, von Koks ganz zu schweigen …«
Sie verabschiedeten sich bis Montag und beendeten das Gespräch.
Annika hatte das Ende des Kais erreicht und stand vor einem Taschenladen, in dem die billigste Stofftasche 500 Euro kostete.
Sie drehte dem Schaufenster den Rücken zu, nahm das Telefon wieder zur Hand und suchte »Nina H Polizei« in der Kontaktliste. Sie drückte auf »anrufen« und wartete, während es wählte und klickte. Dann wurde es völlig stumm im Hörer. Schließlich ertönte eine metallische Stimme.
» Telefónica le informa, que actualmente no es posible conectar al número llamado. Telefónica le informa …«
Sie drückte das Gespräch weg.
Telefónica war die große spanische Telefongesellschaft – aber warum hörte sie auf Nina Hoffmans schwedischem Handy eine spanische Ansage? War Nina in Spanien, oder war etwas mit dem Empfang ihres eigenen Handys nicht in Ordnung?
Sie versuchte es noch einmal.
» Telefónica le informa, que actualmente no es posible …«
Sie beendete die Verbindung und schaute auf die Uhr. Zwanzig nach zwei.
Zeit, Rickard Marmén einen Besuch abzustatten.
Das winzig kleine Maklerbüro lag hinter einer englischen Buchhandlung. An der Innenseite des Fensters klebte ein Dutzend ziemlich ausgeblichener Immobilienanzeigen.
Rickard Marmén saß hinter einem Schreibtisch und hackte auf einem Computer herum, als Annika hereinkam.
»Hallo, Verehrteste«, begrüßte er sie, stand auf und küsste sie auf beide Wangen. »Will das Abendblatt eine Wohnung in Puerto Banús kaufen?«
»Nicht direkt«, erwiderte sie. »Wie laufen die Geschäfte?«
»Unsagbar schlecht«, sagte er. »Alles steht still. Nur wegen dieser dummen Operation Malaya.«
Er sah ihre verständnislose Miene und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
»Sie haben die ganze Bau- und Immobilienbranche auf den Kopf gestellt und hundertundzwei Leute festgenommen, inklusive des gesamten Magistrats von Marbella. Die Bestechungsgelder für illegale Bauvorhaben kannten keine Grenzen mehr, und das Geld floss in Strömen. Es stellte sich heraus, dass der Leiter der Verkehrs- und Baubehörde drei Landhäuser besaß, von denen jedes für sich die Größe des Stockholmer Rathauses hatte. Ihm gehörten hundert Rennpferde, und über seinem Whirlpool hing ein echter Miró.«
Annika lachte.
»Und wir hielten es für einen Skandal, dass unser ehemaliger Ministerpräsident ein fehlerhaftes Baugerüst an seinem Herrenhof stehen hatte.«
Rickard Marmén lehnte sich zufrieden zurück.
»Die Bürgermeisterin wurde in ihrem Schlafzimmer festgenommen, wo sie sich gerade von ihrer letzten Fettabsaugung erholte. Zehn städtische Bauarbeiter taten in der Zwischenzeit ihr Bestes, um ihre Küche zu renovieren. Jetzt soll jede einzelne Baugenehmigung der
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