Kalter Tee und heiße Kuesse
genau in dem Moment, als sie mir das Zeug ins Gesicht gekippt hat.
Nachdem Magnus gegangen war, saß Johanna Melchior noch ein paar Minuten in ihrem Lieblingssessel, einem wertvollen Empireteil, das sie auf einer Auktion ersteigert hatte. Im Radio lief ein Chopinkonzert. Johanna fühlte sich viel zu alleine in diesem Haus, seitdem ihr Mann gestorben war. Wie lange war das jetzt her? Zwölf Jahre. Kinder hatte sie keine. Leider. Auch an eine neue Partnerschaft hatte sie nie gedacht. Valentin war die ganz große Liebe gewesen. Und die fand man bloß einmal, da war sich Johanna sicher. Wenn sich Magnus nur erst wieder mit seinem Vater aussöhnen würde. Johanna und Valentin kannten Agnes und Bernhard schon seit der Studienzeit der Männer, und eine innige Freundschaft hatte sich entwickelt. Als Valentin gestorben war, waren sie es, die sich um Johanna gekümmert hatten. Bernhard und Agnes hatten von Agnes’ Eltern das alteingesessene Verlagshaus Kemper & Nachf. geerbt und gemeinsam die Ärmel hochgekrempelt, um aus einem kleinen Sachbuchverlag einen großen zu machen. Die Firma saß in Kiel, und auch Magnus war dort beschäftigt. Er sollte das Geschäft von der Pike auf kennenlernen und hatte auch Spaß daran gehabt, aber nach Agnes’ Tod und einigen gescheiterten Beziehungen war er nicht mehr der, der er früher mal gewesen war. Stur, eigenbrötlerisch, zynisch und immer schlecht gelaunt. Als er sich vor drei Wochen mit Bernhard zerstritten hatte, kam er zu ihr und fragte, ob er vorübergehend bei ihr in der Agentur arbeiten könne. Was hätte sie denn sagen sollen? Und jetzt noch die Sache mit Lena Sanders. Diese unscheinbare Frau, die einerseits herzensgut zu sein schien und andererseits Tee und Erkältungsbäder in anderer Leute Gesichter schüttete. Wie Magnus sie angeschaut hatte. Immer wenn er sich unbeobachtet fühlte, blickte er zu ihr, um dann, wenn sie den Kopf hob, schnell in eine andere Richtung zu schauen. Nun gut, sollten die beiden diese Kampagne eben durchziehen. Das war ja wirklich mal etwas anderes. Über den Claim musste man natürlich noch mal nachdenken, aber es war sicher nicht gut, die Euphorie von Magnus gleich am Anfang zu dämpfen. Alles Weitere würde die Zeit zeigen. Und Lena würde ihn sicher auf den richtigen Weg bringen – schließlich konnte Frau Sanders ausgezeichnet texten.
Seufzend stand Johanna auf, schloss das Fenster, stellte die Musik aus und ging nach oben ins Schlafzimmer.
„Guten Morgen.“ Lächelnd kam Magnus auf Fabrizio zu, der ein Gesicht machte, als wolle er ihn am liebsten erdolchen.
„Hatten wir nicht sieben Uhr gesagt?“ Fabrizio trat von einem Bein aufs andere. Mittlerweile war es Viertel nach, und er konnte Unpünktlichkeit auf den Tod nicht ausstehen.
„Ich hatte heute Nacht solche Schmerzen“, entschuldigte sich Magnus und wurde ein wenig rot. „Frau Sanders ist im Übrigen ja auch noch nicht da.“
„Frau Sanders ist bereits im Park unterwegs, um nach geeigneten Opfern Ausschau zu halten“, klärte der Fotograf ihn auf und zog seinen Schal fester um den Hals. Er sagte das Wort Opfer so, als sei er ein gesuchter Massenmörder.
„Oh“, entgegnete Magnus.
Fabrizio winkte ihn mit sich, gemeinsam gingen sie den Weg entlang. Es waren in der Tat haufenweise Leute mit ihren Hunden unterwegs. Magnus sah sich um. „Der da würde passen.“ Er deutete auf einen chinesischen Faltenhund, der kaum vorwärtskam. Fabrizio verdrehte die Augen. „Bei chinesischen Faltenhunden liegt es in der Natur beziehungsweise an der Überzüchtung, dass sie kaum einen Meter gehen können“, sagte er besserwisserisch. „Wenn Sie also mal von einem chinesischen Faltenhund verfolgt werden sollten, lassen Sie sich Zeit. Sie werden immer der Sieger sein.“
„Haben Sie denn schon mit Frau Sanders …“, begann Magnus, wurde jedoch von Fabrizio unterbrochen, der Lena „Wir sind hier, mein Engel!“ zurief.
Sie trug eine sandfarbene Leinenhose und eine dunkelbraune Steppjacke. Ihre Wangen waren von der kühlen Morgenluft leicht gerötet, ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Einige Strähnchen waren herausgefallen und verliehen ihr etwas Unbekümmertes.
„Guten Morgen“, sagte sie knapp zu Magnus und drehte sich dann zu einer etwa Fünfzigjährigen mit platinblond gefärbtem Haar um, die hinter ihr stand und einen Deutschen Windhund an der Leine führte. Der Windhund konnte es offensichtlich nicht ertragen, länger zu stehen, und hatte sich schon mal hingelegt. Magnus
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