Kalter Tee und heiße Kuesse
aus“, warf Lena ein.
Charlotte strich ihre Haare zurück. „Ausnahmen bestätigen die Regel“, sagte sie und strahlte ihre Freundin an.
Lena schaute auf ihre Armbanduhr. Halb zehn. Sie war immer noch in der Agentur. Magnus war gegangen. „Kann ich noch irgendetwas tun?“, hatte er total nett gefragt, und sie hatte den Kopf geschüttelt. Nachdem er endlich weg war, hatte sie rasch das Fenster geöffnet, damit sein Geruch aus dem Zimmer verschwand. Aber sein Aftershave durchzog den Raum mit einer solchen Intensität, dass sie das Gefühl hatte, er stünde direkt neben ihr. Nachmittags hatten sie die ersten Interviews geführt. Dann hatte sie einen Pressetext geschrieben und an ihren Großverteiler geschickt. Erste Rückmeldungen kamen schon kurze Zeit später. Das sei ja eine geniale Idee, und drei große Gazetten wollten über die Dickie-Dick-Aktion berichten. Vorsorglich hatte sie noch keinen Claim geschickt. Nun musste man dafür sorgen, dass die Zeitungsredaktionen regelmäßig mit Infos und Fotos versorgt wurden, und anschließend konnte man nur hoffen, dass die Kampagne ein Erfolg wurde. Nun saß sie hier und textete für die nächsten Tage vor, sodass nur noch die Fakten eingefügt werden mussten. Sie musste sich eingestehen, dass die Zusammenarbeit mit Magnus eigentlich hervorragend lief. Er war kein bisschen besserwisserisch und absolut kritikfähig. Ein paar Mal hatte Lena heute gedacht, dass sie ein ziemlich gutes Team abgaben. Die Arbeit hatte ihr richtig Spaß gemacht, ihre Erkältung war auch so gut wie weg. Während sie noch über Magnus’ grüne Augen nachdachte, stellte Lena fest, dass sie ziemlichen Hunger hatte. Ob sie sich beim Pizzaservice was bestellen sollte? Nein, so spätabends noch Pasta oder Pizza, da würde sie nicht gut schlafen. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und konzentrierte sich aufs Schreiben. Apropos Schreiben. Aus ihrer Schublade holte sie das ausgedruckte Buchmanuskript, das sie vor Kurzem fertiggestellt hatte. Eine ergreifende Liebesgeschichte von einem Pärchen, das nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander leben konnte, sich trennte und dann wieder zusammenfand. Natürlich waren viele ihrer eigenen Erfahrungen in das Manuskript eingeflossen. Der Roman spielte im Herbst, deswegen hatte sie ihm den Titel Septembersonne gegeben. Über das Ende musste sie noch nachdenken. Sie hatte den Text schon fünf Verlagen angeboten, aber nur Absagen erhalten. Trotzdem glaubte sie daran, dass sie irgendwann ihr eigenes Buch in den Händen halten würde.
Sie lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster. Der silbrige Mond strahlte in ihr Büro und verteilte sein diffuses Licht. Draußen hörte man Leute lachen. Eigentlich könnte sie eine Flasche Wein aufmachen und ein Glas trinken. Sie hatte einen kleinen Weinvorrat im Büro; im Gegensatz zu ihrer Chefin versorgten Charlotte und sie Geschäftspartner regelmäßig damit – als kleines Dankeschön für die gute Arbeit. Sie öffnete eine Flasche Barolo und stellte sich mit dem Glas ans Fenster. Und plötzlich hörte sie ein Geräusch. Es kam vom Flur her. Wer konnte das sein? Der Hausmeister? Nein, der machte seine letzte Runde gegen acht Uhr abends. Es war definitiv niemand mehr in der Agentur. Also konnte es sich nur um einen Einbrecher handeln. Um einen Halunken, der nicht davor zurückschrecken würde, Gewalt anzuwenden. Bestimmt hatte er einen Knüppel dabei und trug einen Schlagring. Seine kalten Augen würden sie durch die Schlitze seiner schwarzen Maske heimtückisch und gefühllos anblicken, bevor er ihr den Schädel zertrümmerte. Oder vielleicht war es sogar eine ganze Bande aus Tschechien, die die neuen Computer stehlen wollte. Möglicherweise würden sie Lena entführen und sie zwingen, in einem heruntergekommenen Bordell zu arbeiten. Wie gut, dass sie nur Strümpfe anhatte. Auf Zehenspitzen schlich sie sich zur Bürotür, die Rotweinflasche wie eine Waffe haltend. Da ging die Klinke runter. Lena hielt den Atem an. Die Tür ging langsam auf. Ihr fiel siedend heiß etwas auf: Sie hatte sich auf die falsche Seite der Tür gestellt. Der Mörder würde ihr gleich gegenüberstehen. In der nächsten Sekunde schoss eine Hand hervor und riss ihr die Weinflasche aus der Hand. „Oh nein“, sagte eine männliche Stimme. „Erst Tee und dann Erkältungsbad. Das reicht fürs Erste.“ Magnus stand vor ihr, und Lena war so erleichtert über die Tatsache, noch am Leben zu sein, dass sie fast anfangen musste zu weinen. Sie
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