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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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anfangen, Frau Doktor?«
    »Fünf Minuten noch, bitte!«, rief Lisa. Kajetan entfernte sich wieder, dann war es still im Saal.
    »Aber, aber …« Er stotterte herum, in seinem Kopf war nur Verwirrung. »Aber wieso ist sie, ich meine er, ich meine … wieso liegt sie jetzt als Frau vor uns? Wäre es nicht logischer gewesen, also ich meine …« Er verstummte, nichts war logisch, keine Frage erschien angemessen vor diesem toten jungen Menschen.
    Lisa sah ihn an. Siehst du, schien ihr Blick zu sagen. Verstehst du mich jetzt? Warum ich für ein paar Minuten darüber reden wollte, nicht allein sein wollte? Auch wenn es uns beiden, dir und mir, und schon gar nicht dieser Agota noch helfen wird?
    »Vermutlich werden wir nie erfahren, wie sie auf die Welt gekommen ist«, sagte Lisa und hielt ihre Hand schützend wie eine Muschel über das Geschlecht von Agota, »und ob schon ein Penis ausgebildet war. Vielleicht war bei der Geburt aber auch nur eine Art vergrößerter Klitoris zu sehen, die erst in der Pubertät zu wachsen begonnen hat. Es gibt so viele unterschiedliche Formen von Transsexualität.«
    Er versuchte sich vorzustellen, wie das sein musste, wenn plötzlich, ausgerechnet in der Pubertät, solch eine erschreckende Verwandlung ihren Anfang nahm. Die Scham, das Schweigen. Es musste die Hölle sein, er fand kein anderes Wort dafür.
    »Vielleicht hat sie ja sogar Glück gehabt«, sagte Lisa neben ihm. Er starrte sie an, ratlos, erschrocken. Lisa war so eine sensible Frau und Kollegin, wie konnte sie da von Glück sprechen?
    Sie verstand ihn sofort. »Das war jetzt missverständlich ausgedrückt, entschuldige bitte, Artur. Aber ich wollte nur sagen, dass ihr wenigstens die Operationen erspart geblieben sind, mit denen so viele immer noch gequält werden. Noch immer wird diesen Menschen viel zu früh einfach ein Geschlecht aufgezwungen, werden aus Hodensäcken künstliche Scheiden geformt, oder wird ihr Penis amputiert. Fast nie werden sie gefragt, was sie selber sein wollen. Das wenigstens ist dieser Agota erspart geblieben, man hat nicht an ihr herumgeschnitten. Wenigstens das.«
    Draußen auf dem Gang waren Schritte zu hören, sie holten beide tief Luft.
    »Wann kannst du mir einen ersten Bericht geben?«, fragte Pestallozzi. Eine routinemäßige Frage, die ihm wie ein Rettungsanker erschien, um in den Alltag zurückzufinden.
    »Am Nachmittag, der Kajetan macht extra Überstunden.«
    Er wandte sich zum Gehen, aber eine letzte Frage schoss ihm noch durch den Kopf. »Diese Verbrennungen, können ihr die auch im vergangenen Jahr zugefügt worden sein?«
    Lisa schüttelte sehr entschieden den Kopf. »Das sind alte Verletzungen.«
    Pestallozzi hob die Hand zum Gruß, dann ließ er sie wieder fallen. Er verließ den Seziersaal, der kahle Park vor dem Institut erschien ihm plötzlich als ein tröstlicher Ort.

    *

    Leo stand am Kaffeeautomaten und schlürfte seinen unvermeidlichen Choco grande. Dazu hielt er einen Stapel ausgedruckter Seiten in der Hand, mit denen er Pestallozzi zuwinkte, sobald der aus dem Aufzug getreten war.
    »Unglaublich, was die für Namen haben! Dienerinnen vom blutenden Lamm. Unbeschuhte Schwestern vom durchbohrten Herzen Jesu. Und was glaubst du, Chef, wie unsere Tanten im Wald heißen? Na?«
    Leo strahlte wie ein Quizmaster. Dann sah er Pestallozzi forschend ins Gesicht und verstummte. Er folgte dem Älteren in sein Zimmer, Pestallozzi schloss die Tür. »Gleich Leo, gleich!«
    Er musste unbedingt die Schuhe wechseln, zum Glück hatte er noch ein Paar alte Sneakers in der untersten Schublade. Leo wechselte unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Schlechte Neuigkeiten, das war immer so, wenn der Chef eine Miene wie ein Pokerspieler aufsetzte.
    »Kein Aneurysma?« Ein kleiner Scherz war ja wohl erlaubt, um die Stimmung aufzulockern. Aber Pestallozzi schüttelte nur den Kopf.
    »Kein Aneurysma. Diese Agota ist erstickt worden. Und offenbar misshandelt worden während ihrer Kindheit.«
    Er bückte sich, um die Schuhbänder zuzubinden, sorgfältig und konzentriert, als ob er sich ablenken wollte, wenigstens ein paar Augenblicke lang. Das war noch nicht alles gewesen, was es über diese Agota zu berichten gab, das dicke Ende kam sicher noch. Leo stellte den Pappbecher auf dem Schreibtisch ab. Misshandelt, scheiße. Aber was konnte einer Frau in Nonnentracht sonst noch zugestoßen sein? Eine Vergewaltigung?
    »Ist sie …?«
    Pestallozzi schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist nicht vergewaltigt

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