Kalter Weihrauch - Roman
musste man schön umrühren und aufpassen, damit sich der Grieß nicht am Boden vom Reindl anlegte, das wusste er von seiner Mutter. Aber das Grießkoch im Kindergarten … dem blassen Clemens mit den vielen Sommersprossen war das genauso widerstanden, mit zusammengepressten Lippen war der neben ihm gesessen, oft stundenlang, da kannten die Schwestern kein Erbarmen. Und einmal war es der Schwester mit dem sanften, gütigen Lächeln, das sie sich immer für die Mütter aufsparte, zu dumm geworden. Sie hatte den Clemens an den Haaren gepackt, seinen Kopf zurückgebogen und ihm einen vollen Suppenlöffel hineingeschaufelt. Der Clemens hatte gehustet und gewürgt, und dann hatte er sich übergeben, über das ganze kalte Grießkoch, das noch auf dem Teller war. »Das wirst du jetzt aufessen, so kommst du mir nicht davon«, hatte die Schwester geschrien und den Löffel wieder in das Erbrochene getaucht. Der Clemens war ganz weiß im Gesicht geworden. Und er selbst, er war auf diese Schwester Ehrentrudis – genau, so hatte sie geheißen, er wusste es plötzlich wie gestern – zugestürmt und hatte auf ihr schwarzes Kleid eingetrommelt, wenn er irgendwo ein Stück Haut erwischt hätte, dann hätte er bestimmt hineingebissen, aber die Schwester Ehrentrudis war ja vollkommen in ihren Habit eingewickelt gewesen, zum Glück für ihn und für sie. Ein riesiges Durcheinander war entstanden, Kotze hatte über sie alle gespritzt, der Clemens hatte sich nämlich noch einmal übergeben müssen. Andere Schwestern waren herbeigelaufen, ihn hatte man dann in ein Kammerl gesperrt und eine halbe Stunde später seiner Mutter übergeben, die ihre Arbeit im Supermarkt hatte unterbrechen müssen. »So ein Kind können wir nicht länger in unserer Gemeinschaft dulden. Ihr Sohn übt einen sehr schlechten Einfluss auf die anderen Kinder aus.«
Seine Mutter hatte ihn an der Hand genommen und war mit ihm nach Hause gegangen, still und müde hatte sie gewirkt, das wusste er heute noch, aber sie hatte nicht mit ihm geschimpft. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie mühsam das ganze Durcheinander für sie gewesen sein musste als alleinerziehende Mutter. Alle Arbeit umsonst, um dem Sohn die bestmögliche Ausbildung zu bieten. Alles neu organisieren müssen, einen Platz im städtischen Kindergarten auftreiben. Aber er hatte nie wieder zu den schwarzen Frauen gehen müssen und seine Schwester Moni auch nicht.
Pestallozzi merkte plötzlich, dass ihm eisig kalt war. Er stand auf und stampfte ein paarmal fest auf, um das Blut in seinem Körper wieder zum besseren Zirkulieren zu bringen. Zeit, endlich mit den Erinnerungen abzuschließen, die da seit vorgestern in ihm hochstiegen. Ein paar Löffel Grießkoch, die man ihnen hatte in den Mund zwingen wollen. Anderen war hinter Klostermauern Schlimmeres widerfahren.
*
Sonntag, der Tag des Herrn. Lisa Kleinschmidt sah auf den niederen Couchtisch in ihrem Wohnzimmer, der mit einem leeren Teller, einer halbvollen Kaffeetasse und einem hochstieligen Glas gedeckt war. Neben dem Glas stand eine leere Piccoloflasche Prosecco. Sie hatte sich heute einmal ein ausgiebiges, ja geradezu festliches Frühstück gegönnt, ausnahmsweise. Denn so stand es doch immer in den Frauenzeitschriften: Gönnen Sie sich etwas Besonderes, decken Sie den Tisch auch dann festlich, wenn Sie allein sind! Und, was sollte das bringen? War man dann fröhlicher, wenn man den Lachs allein futterte? Schwachsinn, sie schob den Teller heftig von sich.
Aus dem Nebenzimmer war Rumoren zu hören, Max schickte sich offenbar endlich an, den Hamsterkäfig zu putzen und mit frischem Zeitungspapier auszulegen, wie an jedem Wochenende. Natürlich würde sie ihm dabei helfen, aber ein klein bisschen sollte er schon auch selbst beisteuern. Gestern Abend hatte sie ihm wieder einmal eine ordentliche Standpauke gehalten. »Du hast dir so sehr ein Haustier gewünscht. Also dann halte jetzt auch dein Versprechen und kümmere dich darum. Ein Hamster will nicht nur gestreichelt werden, der braucht auch ein sauberes Zuhause!« Der Max hatte gottergeben genickt und war in sein Zimmer getrottet, mit Walter im Arm. Und die Tür hatte er zugemacht, zum ersten Mal. Sie war dagesessen und hatte auf die Tür gestarrt. Und auf die Türe von Miriam, die war offen gestanden, weil Miriam noch bei einer Freundin war. Um neun war die Tür noch immer offen gewesen. Und um zehn. Und um zehn nach zehn. Dann hatte sie ihre 16-jährige Tochter auf dem Handy angerufen,
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