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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wie auf einem Friedhof.
    Leo parkte den Skoda vor der Gerichtsmedizin und versuchte, einen Blick vom Chef zu erhaschen. Aber der schien völlig konzentriert zu sein auf das, was nun kommen würde. Sie betraten das Haus und stiegen in den Keller hinunter, Kajetan stand schon neben der Tür vom Seziersaal. Als er die Oberin in ihrem weißen Habit erblickte, senkte er sichtlich voller Unbehagen den Kopf.
    Mir geht es ja auch nicht besser, dachte Leo. Jetzt werde ich zum ersten Mal sehen, was der Chef mir schon erzählt hat. Und das ausgerechnet, wenn eine Nonne neben mir steht. Wenigstens wurde die Leiche nicht erst aus einem Kühlregal geholt, wie ein Schinken aus der Tiefkühltruhe, sondern sie lag schon auf dem großen Nirosta-Tisch in der Mitte des Raumes, alle Lampen und Spots waren aufgedreht. Kajetan stellte sich an die linke Längsseite, die Oberin schräg gegenüber, wo der Kopf unter dem Tuch sein musste, Pestallozzi war neben ihr. Leo hielt sich bescheiden im Hintergrund. Er musste nicht überall dabei sein.
    Kajetan blickte zuerst prüfend auf die Frau und sah dann Pestallozzi fragend an. Der nickte. Kajetan zog das Tuch vorsichtig vom Gesicht der Toten. Ihr Gesicht hatte nun nicht mehr den Braunton des ersten Tages, sondern es schimmerte wächsern wie Perlmutt. Ein Reif im Haar hätte ihr gut gestanden, wie den ägyptischen Prinzessinnen, die auf Reliefs seit 1000 Jahren schliefen.
    Die Oberin sah auf die Tote hinab, dann nickte sie Pestallozzi kurz zu. Sie hob ihre rechte Hand und machte das Kreuzzeichen über Agota. Dann senkte sie den Kopf, offenbar zu einem stillen Gebet. Kajetan hielt noch immer das Tuch leicht angehoben über Agotas Brust. Schließlich wandte sich die Oberin Pestallozzi zu. »Sie ist es. Das ist Agota Lakatos.«
    Sie wollte offenbar den Raum wieder verlassen, doch Pestallozzi blieb an dem Seziertisch stehen. »Das ist noch nicht alles, Frau Oberin. Ich möchte Ihnen noch etwas zeigen.«
    Sie hielten alle den Atem an, wenigstens kam es Leo so vor. Die Oberin stand sehr aufrecht, sie wirkte gefasst, aber auch ein klein wenig überrascht und, ja, beinahe neugierig. Wenn sie das alles nur spielt, weil sie sowieso schon Bescheid weiß, dann ist sie besser als die meisten von diesen Tussis in den Vorabendserien, dachte Leo. Er schluckte. Er wusste ja, was kommen würde.
    Kajetan zog ganz langsam das Tuch von Agotas Körper. Über die Brust und den Bauch hinab, über den Nabel bis zu den Schenkeln. Der riesige Schnitt, den Lisa Kleinschmidt der Toten zugefügt hatte, war säuberlich vernäht worden und leuchtete bläulichrot auf der bleichen Haut. Dann legte er das Tuch sanft über Agotas Knien ab.
    Es war so still, dass sie draußen das Flattern einer Krähe hören konnten, die auf dem Sims zu landen versuchte. Leo wagte nicht, die Oberin anzuschauen. Er wusste überhaupt nicht, wohin er schauen sollte, wo seine Augen Halt finden sollten. Denn das Bild war so … so unendlich traurig. Er hätte am liebsten geheult. Er, Leo Attwenger, der härteste Kerl der Mordkommission. Er starrte auf seine Schuhspitzen und beschloss, nicht mehr aufzublicken. Jedenfalls nicht mehr in diesem Raum.
    Die Stille hielt an. Kajetan fixierte stoisch einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Die Oberin stand noch immer sehr aufrecht. Das war grausam von mir, dachte Pestallozzi. Sie mit drei Männern im Raum an diesen Tisch zu bringen. Er setzte zum Sprechen an, aber die Frau kam ihm zuvor.
    »Das habe ich nicht gewusst«, sagte die Oberin der Schwestern vom Heiligsten Herzen Mariä. »Davon habe ich nichts gewusst.«
    »Sie hatten keine Ahnung?«
    Sie schüttelte den Kopf, dann sah sie Pestallozzi an, ihre Augen funkelten. »Wir fordern keine Leibesvisitation. Man muss sich nicht nackt ausziehen, wenn man ins Kloster gehen will.«
    »Und Schwester Annunziata? Glauben Sie, dass die etwas wusste? Agota war doch ihr Schützling!«
    Der Anflug von Zorn in der Stimme der Oberin war schon wieder verflogen. Sie sah plötzlich sehr müde aus. »Schwester Annunziata hat mir keine Mitteilung über die … diese Besonderheit von Agota gemacht. Ich kann nicht für sie sprechen. Ich weiß nicht, wie viel sie wusste.«
    Pestallozzi nickte Kajetan zu, und der zog wieder das Tuch hoch, bis es auch das Gesicht von Agota bedeckte.
    »Möchten Sie vielleicht ein Glas Wasser«, fragte Pestallozzi, »oder einen Kaffee? Wir können bestimmt im Büro von Frau Doktor Kleinschmidt …«
    Aber die Oberin schüttelte nur den Kopf.

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