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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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»Ich würde gern nach Hause zurückkehren, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Sie stiegen wieder die Treppe hoch, sehr langsam, Leo war das Schlusslicht. Kajetan war im Seziersaal zurückgeblieben, um Agota wieder in ihrem Kühlfach zu verstauen. Leo stellte seinen Jackenkragen hoch und kramte nach den Autoschlüsseln. Beim Skoda wollte er schon zuvorkommend die Tür zum Rücksitz öffnen, aber Pestallozzi hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. »Leo, ich komme nicht mit. Du fährst die Frau Oberin ins Kloster zurück. Wir telefonieren dann morgen.«
    Leo erstarrte. Er und die Nonne? Ganz allein? Das konnte ihm der Chef doch nicht antun! Lieber würde er auf der Stelle bei der Verfolgung eines flüchtigen Ladendiebs in die eiskalte Salzach springen! Er warf Pestallozzi einen flehentlichen Blick zu, doch der beachtete ihn nicht einmal.
    »Aber ich muss dich sowieso noch ins Präsidium bringen, Chef. Da kannst du doch gleich mit uns …«
    Pestallozzi schnitt ihm das Wort ab. »Ich komme nicht mit, weil ich noch zu tun habe. Also du fährst zurück wie besprochen.«
    Die Oberin stieg auf der Beifahrerseite ein, Pestallozzi beugte sich zu ihr hinab. »Danke, dass Sie uns geholfen haben. Ich weiß, dass das keine leichte Stunde für Sie war. Aber jetzt haben wir endlich endgültige Gewissheit. Wir werden uns auf jeden Fall noch mit Schwester Annunziata unterhalten müssen. Sie hören von mir.«
    Die Oberin nickte Pestallozzi zu, der die Wagentür schloss. Leo startete den Skoda und preschte zur Einfahrt hinunter. Er riskierte einen verstohlenen Blick auf seine Mitfahrerin. Die sah nicht aus, als ob sie große Lust auf ein Gespräch haben würde. Danke, Allmächtiger!
    Pestallozzi stand vor dem Eingang zur Gerichtsmedizin, beinahe hätte er die Hand gehoben, um zu winken, im letzten Moment hielt er sich zurück. Manche Gesten passierten einem wie automatisiert, auch zu den unpassendsten Gelegenheiten. Kalt war es, er sah zum Himmel hinauf, der sich nun schon rasch verdüsterte. Pestallozzi knöpfte seinen Wintermantel zu und schlenderte zum Hauptweg hinunter. Alle Bänke waren leer, nur vor der Psychiatrie standen zwei eingemummte Gestalten und rauchten, die Glut ihrer Zigaretten leuchtete wie Glühwürmchen in der Dämmerung.
    Er hätte jetzt auch gern geraucht. Ob er die zwei Vermummten um eine Zigarette anschnorren sollte? Aber dann würde sich womöglich ein Gespräch ergeben, über Krankheit im schlimmsten, über Fußball im besten Fall, und beides ertrug er heute nicht mehr. Er setzte sich auf eine Bank und vergrub die Hände in den Taschen. Wann war er so grausam geworden? Was machte dieser Fall mit ihm? Kaum betrat er ein Kloster, war er ein anderer und kein besserer, das bestimmt nicht. Und alles weil … weil er als Kind verbranntes Grießkoch hatte essen müssen? Wie alle anderen im Kindergarten, den die Schwestern in der schwarzen Tracht geführt hatten? Gleich neben der Volksschule und dem Carolineum, dem Nobelgymnasium, in das nur die angesehensten und reichsten Familien der Stadt ihre Söhne schickten. Und wohin ihn auch seine eigene Mutter hatte schicken wollen. Aber das hatte er erst viel später erfahren. Um im Carolineum aufgenommen zu werden, musste man zuvor den sündteuren Kindergarten und dann die hauseigene Volksschule besucht haben. Seine Mutter war nach der Arbeit im Supermarkt extra seinetwegen noch putzen gegangen, das hatte er als Kind natürlich nicht gewusst. Er und seine kleine Schwester Moni hatten nur mitgekriegt, dass die Mutter noch müder als sonst war. Und dass immer diese mürrische Nachbarin kam, um sie ins Bett zu bringen. Und er hatte jeden Morgen in diesen Kindergarten gehen müssen, der ihm schon nach wenigen Tagen verhasst gewesen war. Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? Ha! Er und alle anderen Kinder dort hatten sich nur vor schwarzen Frauen gefürchtet. Und ganz besonders vor der einen, die so sanft lächelte, wenn die Mütter kamen, um ihre Kinder abzuholen. Aber wenn sie mit ihnen allein war … Am schlimmsten waren immer die Mittagessen gewesen. Was auf den Tisch kommt, muss aufgegessen werden, Amen. Herr, segne unser Mahl. Seid froh, dass ihr nicht wisst, was Hunger ist! Und jedes Mal waren ein paar von ihnen übrig geblieben und mussten sitzenbleiben, weil sie die Pampe auf dem Teller einfach nicht hinunterwürgen konnten. Am schlimmsten war es gewesen, wenn es Grießkoch gab, das fast immer verbrannt roch und schmeckte. Grießkoch war eine heikle Sache, das

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