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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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schmachteten! Herrgott, was war er froh, dass er hier draußen sein durfte!
    Pestallozzi drehte sich noch einmal zu der kleinen Frau im Türrahmen um. »Gibt es vielleicht irgendeinen Hinweis, den Sie uns auf den Weg mitgeben können, Schwester? Etwas, das uns weiterhelfen könnte?«
    Schwester Agnes hatte die Tür schon halb geschlossen, nun hielt sie inne und musste blinzeln, als sie gegen die Sonne blickte. Leo versuchte, sich diese hutzelige, kleine alte Frau mitten im schwärzesten Afrika vorzustellen, in einer Krankenstation, umlagert von Rebellen. Es machte ihm zu seiner Verblüffung keinerlei Schwierigkeiten.
    »Wer sich bemüht, gut zu sein, der wird immer auch die Kraft des Bösen spüren«, sagte Schwester Agnes. »Aber wir dürfen nicht zu viel grübeln. Verlassen Sie sich einfach auf unseren Herrn im Himmel.« Sie wischte ein unsichtbares Staubkorn von ihrer Schürze, dann blickte sie wieder auf. »Auf Wiedersehen, Herr Pestallozzi! Auf Wiedersehen, junger Mann! Gott schütze Sie beide!« Dann schloss sich die Tür, und ein Schlüssel wurde umgedreht.
    Sie gingen zum Wagen zurück, die Sonne war wie ein warmes Bad, das alle Muskeln lockerte und die trüben Gedanken der letzten Tage wegspülte. Sie stiegen ins Auto, Leo startete und drehte sich zurück, um zu wenden, Pestallozzi drehte ein knisterndes Kräuterkissen in seinen Händen.
    »Also, schräg waren die schon, aber eigentlich auch ganz … ganz okay«, sagte Leo und stieg vom Gas, der Skoda hatte auf dem Schnee zu schlingern begonnen.
    Sie fuhren in Serpentinen den Berg hinab, über dem See lag dichter Nebel. Schade, gleich würden sie darin eintauchen, wie bei einer Flugzeuglandung, wenn man vom Urlaub im Süden kam und knapp vor Salzburg in die Wolken sank.
    »Ja, höflich waren sie«, sagte Pestallozzi, »bestimmt. Aber die hätten noch mehr erzählen können. Vor allem diese Schwester Agnes.«
    »Glaubst du, dass sie mehr über diese Agota gewusst hat?«, fragte Leo. »Ich meine, darüber, dass … na ja, du weißt schon.« Er verstummte. Für manche Dinge gab es einfach keine Worte, die einem leicht über die Lippen kamen.
    Pestallozzi wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht. Und wenn ja, dann wäre es mir einfach … einfach nicht richtig erschienen, sie so direkt danach zu fragen. Vor uns allen.« Er seufzte und schwieg. Leo wandte den Kopf und sah den Chef besorgt an. Er hatte ihn noch nie seufzen gehört. Na ja, jedenfalls schon sehr lang nicht mehr.
    »Zurück nach Salzburg. Diese Kissen müssen ins Labor«, sagte Pestallozzi. Dann wurden sie vom Nebel verschluckt.

    *

    Sie sah ihnen nach vom Fenster im ersten Stock, zu dem sie gehastet war, nachdem die beiden Männer endlich den Laden verlassen hatten. Zum Glück waren die Gänge und das Stiegenhaus menschenleer gewesen, und niemand war ihr begegnet und hatte sich über ihr seltsames Betragen gewundert. Wo sie doch sonst immer die Stillste und Gefügigste war. Endlich fuhren sie davon, die beiden Männer, die das Böse hereintrugen wie den Schnee, der von ihren Schuhen fiel. Der Jüngere mit seinen begehrlichen Blicken, die auf ihr ruhten und die Hitze des Widerwillens in ihr hochsteigen ließen. Und dieser Ältere, der so sanft und höflich tat, dass er sogar die Mutter Oberin damit zu täuschen schien. Aber sie waren beide Abgesandte des Bösen, darüber konnte kein Zweifel bestehen. Des Bösen, das mit dieser Agota in die stillen Mauern gekommen war, wo sie selbst Zuflucht gefunden hatte vor der Welt da draußen, die ihr immer nur Angst eingeflößt hatte und Abscheu. Mit der Nacktheit, die einen überall ansprang: von Plakatwänden, aus der Zeitung, aus dem Fernseher, mit den unflätigen Sprüchen, die aus allen Mündern quollen. Sie hatte sich die Ohren zugehalten und die Augen zusammengepresst und hatte sich dafür verspotten lassen müssen. Aber sie hatte keinen Frieden gefunden, nur manchmal für eine gestohlene Viertelstunde in der Franziskanerkirche. Und dann hatte sie ihren Weg eingeschlagen und war hierhergekommen. Ihre Eltern waren so entsetzt gewesen, dass sie sich ihnen seither wie entfremdet fühlte. Hatten die denn nicht gespürt, wie glücklich sie war mit ihrer Entscheidung? Dass sie den einzigen Weg ging, der ihr möglich schien, um die Ahnung des Bösen um sich herum zu ertragen? Der sie hierhergeführt hatte, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich war? Bis diese Agota gekommen war mit ihrem dunklen Gesicht wie die verdammten Seelen auf den

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