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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Denn die Leut hier brachten sich um wie die Fliegen, aber das stand natürlich in keinem von den bunten, glänzenden Fremdenverkehrsprospekten zu lesen. Nur im Bundesland Kärnten, wo die meisten Sonnenstunden der ganzen Republik Österreich gezählt wurden und wo die Madln nit nein sagen konnten, haha, und deshalb so viele uneheliche Kinder geboren wurden, dort war die Selbstmordrate noch höher. Das hatte er, der Krinzinger, einmal in einer Studie gelesen. Denn er machte sich schon seit Langem so seine Gedanken.
    Am gefährdetsten waren die, die immer am lautesten lachten. Allweil lustig, allweil fidel. Das hätte er, der kleine Inspektor Krinzinger, sich natürlich nie auf einer von den Fortbildungsschulungen zu sagen getraut. Wo es um Prävention und Vermeidungsstrategien und lauter solche Sachen ging, und die gscheiten Vortragenden mit ihren Overheadfolien herumfuchtelten. Aber er hatte seine Erfahrungen. Wie die mit dem Taglöhner Lenz, seinem alten Schulfreund, den alle nur ›Lauser‹ gerufen hatten. Der am Stammtisch immer der Lustigste von allen gewesen war, der sein Hütl immer so schneidig schief getragen hatte und die besten Witze erzählen konnte. »Was ist der Unterschied zwischen einem Neger und einem Autoreifen?«, hatte der Lenz die Touristen an der Theke vom Schlosswirt gern gefragt (natürlich nur, wenn die keine Neger waren). Und hatte auch gleich die Antwort gewusst: »Wenn ein Autoreifen in Ketten gelegt wird, dann stimmt der keine Gospels an! Haha!« Und alle hatten sich auf die Schenkel geklopft (nur einmal war eine Frau Professor aus Wien richtig wütend geworden und hatte dem Lenz sogar mit einer Anzeige gedroht). Und dann hatte der Lenz an einem Nachmittag im vergangenen Februar den Stutzen genommen und war hinauf zu seiner Alm gegangen. Und hatte es wenigstens richtig gemacht. Nicht so wie die Deppen aus der Stadt, die sich ein Kinderspielzeug von Pistole an die Schläfen setzten – und dann gab’s nur eine Riesensauerei, und sie mussten gefüttert werden und Windeln tragen für den Rest ihres jämmerlichen Lebens. Der Lenz hatte es richtig gemacht, wie ein Jäger eben. Den Stutzen unterm Kinn angesetzt und zack, vorbei war’s. Brief hatten sie keinen gefunden, aber das hätte dem auch nicht ähnlich geschaut, so ein wehleidiges Gewäsch. Jedenfalls, aus war’s gewesen mit dem ›Lauser‹. Oder die Loidl Annemarie, die immer so freundlich in ihrem Handarbeitsgeschäft an der Hauptstraße gestanden war zwischen den Garnknäueln und den Westen mit dem hochkomplizierten Zopfmuster, die nie geheiratet, sondern zusammen mit ihrer Mutter und einer älteren Schwester gelebt hatte. Und dann hatte die Mutter sie am Dachboden gefunden, die Annemarie hatte sich mit einem Wäschestrick aufgehängt, fein säuberlich, ganz ohne Blut und Sauerei. Und genauso sauber hatte sie vorher noch alles in Ordnung gebracht und vorbereitet, sogar ein Dirndl mit frischgestärkter Bluse und gebügelter Schürze war auf ihrem Bett gelegen. So eine Nette war die Annemarie gewesen, so eine Stille. Nie hatte sie sich beklagt. Und dann … er hatte ihr jedenfalls nicht helfen können, wie denn auch.
    Die Sonne war überraschend warm geworden. Krinzinger blieb stehen und zog ein zerknülltes kariertes Stofftaschentuch aus seiner Jackentasche und wischte sich damit über die Stirn. Und jetzt gab es wieder einen, der ihm ordentlich Sorgen machte. Einen, der immer viel zu laut lachte. Runden für alle zahlte. Allweil lustig, allweil fidel. Aber wie düster seine Augen blieben, auch wenn er sich bei jedem Witz auf die Schenkel klopfte. Er, der Krinzinger, hatte es gesehen. Aber was sollte er tun? Ob er …
    Die Sonne wurde wieder von Wolken verdunkelt, Krinzinger bog von der Uferpromenade zum Hauptplatz ab. Jetzt, unter der Woche, spazierten nur wenige Besucher zwischen den Standeln vom Weihnachtsmarkt herum, die Händler lehnten gelangweilt in ihren Häuschen, die Loibner Hanni winkte ihm einladend zu. Krinzinger winkte zurück. An so einem Tag voll dunkler Gedanken hätte er sogar zu einem Becher ›Feurige Liebe‹ nicht nein gesagt. Aber das war natürlich ausgeschlossen. Dienst war Dienst und Schnaps war Schnaps. Krinzinger stapfte seufzend weiter. Nix wie zurück zum warmen Posten, wo der Gmoser bestimmt wieder in Magazinen blätterte, statt sich die neuen Richtlinien aus dem Innenministerium zu Gemüte zu führen. Damit ihnen bei der nächsten Kontrolle …
    »Na, Krinzinger, gehst wieder spazieren?«

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