Kalter Weihrauch - Roman
da Salbei. Das ist ein Allheilmittel für alles, das hat schon unsere gute Hildegard von Bingen gewusst. Und dann natürlich Fenchel und Lorbeer und Tausendguldenkraut. Und zum Inhalieren …«
»Was nehmen Sie eigentlich für die Kräuterkissen, Schwester?«, unterbrach sie Pestallozzi freundlich. »Werden die hier angefertigt? Sie führen doch einen eigenen Laden im Kloster, oder?«
»Ja, aber der ist jetzt geschlossen. Nur am Dienstag und am Freitag haben wir geöffnet. Und jetzt im Advent auch am Samstag, weil die Leute so gern unseren Honig und die Kerzen kaufen. Wollen Sie einen Blick reinmachen, Herr …?«
»Pestallozzi«, sagte Pestallozzi. »Und das ist der Leo, mein Kollege. Wir würden uns sehr gern Ihren Laden anschauen, Schwester. Natürlich nur, wenn es keine Umstände macht.«
»Das geht sich schon noch aus vor dem Mittagessen. Roswitha, du passt mir gut auf die Linsen auf, ja? Immer umrühren, damit nichts anbrennt!«
Roswitha, die mit gesenktem Kopf ihrem Gespräch gelauscht hatte, ging zum Herd und griff nach einem hölzernen Riesenlöffel. Damit nichts anbrennt …
»Gibt es bei Ihnen manchmal auch Grießkoch?«, fragte Pestallozzi. Die Frage war ihm einfach so herausgerutscht. Leo starrte ihn mit großen Augen an. Grießkoch? Der Chef stellte ja öfters komische Überlegungen an, aber das war wirklich schräg! Oder hatte er selbst irgendeine Kleinigkeit übersehen? Überhört? Spielte Grießkoch in diesem mysteriösen Fall eine Rolle?
»Freilich, das gibt’s oft bei uns! Immer am Abend, mit Zimt und Zucker!«
»Ah ja!« Der Chef nickte gedankenvoll. Leo beschloss, dass er noch heute Abend Grießkoch googeln würde.
Schwester Agnes holte einen Schlüsselbund vom Haken neben der Tür, und sie verließen die Küche, Leo drehte sich natürlich noch einmal um. Sie folgten Schwester Agnes durch den Gang und an dem Kammerl vorbei, in dem sie in der eisigkalten Freitagnacht gesessen waren, zweimal um eine Ecke, dann durch eine Tür, die aufgesperrt und wieder zugesperrt wurde. Vielleicht hätten sie ja ein Wollknäuel mitnehmen und abwickeln sollen, um zurückzufinden, aber endlich waren sie am Ziel. Schwester Agnes öffnete eine hölzerne Tür, und sie standen in einem hellen Raum, in dem es intensiv nach Bienenwachs roch. Leo musste beinahe niesen, so sehr kitzelte es ihn in der Nase.
Auf einem langen Tisch in der Mitte waren Pyramiden aus Marmeladengläsern aufgebaut, deren Schildchen ganz offensichtlich mit der Hand beschriftet worden waren. In den Regalen an der Wand lagerten Hunderte von Kerzen, die mit frommen Sprüchen und einem Bildchen der Jungfrau Maria geschmückt waren. Vor den Fenstern standen Körbe voller Kissen und Säckchen. Pestallozzi griff nach einem, das in lilafarbenem Kreuzstich bestickt war, und hielt es sich unter die Nase. Es roch wie die Wiesen seiner Kindheit im späten August.
»Das hilft gegen Erkältung«, sagte ihre Begleiterin. »Da sind Spitzwegerich, Thymian und Holunderblüten drinnen. Und das da ist mit Augentrost gefüllt, wenn man müde ist und einem die Augen brennen.«
Die Kissen knisterten in der Hand. »Und das da, wofür ist das gut?«
»Das legt man sich ins Bett, wenn man unruhig ist und keinen Schlaf findet. Da hab ich Hopfen und Steinklee und Eisenkraut hineingetan. Und ein bisschen Lavendel.« Die alte Schwester sah zu dem großen Mann auf, geduldig und freundlich.
»Die würde ich gern kaufen«, sagte Pestallozzi. »Von jedem Kissen eines. Wie viel kostet das?«
»Wir bitten nur um eine freiwillige Spende.«
Pestallozzi holte einen Schein aus seiner Hosentasche und reichte ihn der Schwester. »Oh, vergelt’s Gott!« Sie ließ den Schein unter ihrer Schürze verschwinden.
»Dann wollen wir Sie jetzt aber nicht mehr länger aufhalten, Schwester! Sie müssen sicher in die Küche zurück! Vielen Dank, dass Sie uns alles gezeigt haben!«
Schwester Agnes nickte ihnen zu und ging zu einer zweiten massiven Holztür, die offenbar direkt ins Freie führte. Zum Glück mussten sie also nicht noch einmal durchs Kloster pilgern. Leo fühlte schon wieder ein Kitzeln in seiner Nase, jetzt hatte er sich auch noch einen Schnupfen geholt. Kein Wunder in diesen eiskalten Mauern!
Sie traten durch die Tür nach draußen, wo himmlischer Sonnenschein sie empfing. Leo hätte am liebsten einen Hüpfer gemacht und mit den Armen gerudert. Wenn er jetzt an diese blasse Roswitha dachte und die ganzen anderen, die in diesem dunklen klammen Gemäuer
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