Kalter Weihrauch - Roman
Geschäft. Und natürlich für seine eigene Karriere. Kontakte pflegen. Verbindungen knüpfen. Seine Frau war eine wahre Meisterin in diesem Fach. Heute Abend hatte sie groß aufgekocht. Hirschbraten, vom Hausherrn höchstpersönlich erlegt, mit Knödeln und selbstgepflückten Preiselbeeren, die Gäste aus dem Rheinland waren ganz aus dem Häuschen. Dass es so was noch gab! So viel unverfälschte Gastlichkeit! Solch eine gelebte Nähe zur Natur! Jetzt musste nur noch mit dem Dessert alles klappen, ein guter Kognak zum Nachspülen, und dann stand einem Geschäftsabschluss für die nächste Saison, den sie so dringend brauchten, nichts mehr im Wege. Denn die Zeiten wurden immer härter, auch wenn sich alle etwas vormachten und einander ins Gesicht logen, dass sich die Balken bogen. Aber der Betrieb schrammte schon die ganze Zeit am Abgrund entlang. Und er musste durch den Ort gehen und grinsen und so tun, als ob alles paletti wäre. Lang würde er das nicht mehr durchhalten. Nicht wegen dem Betrieb, der war ihm scheißegal. Schon lang. Der hatte von Anfang an seiner Frau gehört, und das hatte sie ihn auch keine Sekunde lang vergessen lassen. Aber …
Er schloss die Augen. Und sah wieder ihr Gesicht. Er hatte ja nicht einmal ihren Namen gewusst. Aber jetzt kannte er ihn. Und würde ihn nicht mehr vergessen. Bis zu seinem letzten Atemzug. Agota. Das hatte der Pfarrer erzählt, ganz unter dem Siegel der Verschwiegenheit natürlich. Denn die Zeitungen hatten noch nichts berichtet von dem wahren Hintergrund der toten Frau am See. Die Polizei hatte eine Nachrichtensperre verhängt, auch das hatte der Pfarrer ihnen erzählt. Der wusste offenbar noch mehr, aber er hatte bloß so herumgedruckst. Die Nachrichtensperre würde jedenfalls nicht mehr lang halten. Und dann würden alle kein anderes Thema kennen. Und er würde mittendrin sitzen am Stammtisch und bedeutsam nicken müssen. Und dabei war er es gewesen, der … Er stöhnte, es war ein Laut, der gut zu dem Kellergewölbe passte. Als ob man ihn hier unten in Ketten gelegt hätte. Als ob …
Rasche, energische Schritte erklangen oben an der Tür, dann war die Stimme seiner Frau hören, klar und deutlich, obwohl sie nur zischte: »Was ist, bist eingeschlafen da unten?« Dann entfernten sich ihre Schritte wieder. Und spätestens beim Eintritt ins Stüberl mit dem warmen Kachelofen würde sie wieder ihr freundlichstes Gesicht aufgesetzt haben. »Mein Mann kommt gleich. Für besondere Gäste muss es halt ein besonderer Wein sein, das braucht Zeit!« Und alle würden lachen, und wieder einmal würde sie ihn gerettet haben.
Er klemmte sich die Flasche unter den Arm und griff nach einer zweiten. Ja, sie waren ein saugutes Team. Eingespielt bis zur Perfektion. Nie sah man die Risse, die Sprünge. Nicht einmal ihre allerbesten Freunde vom Golfklub ahnten, wie es hinter der Fassade aussah. Obwohl, lang würde das nicht mehr gut gehen. Wenn er an ihren letzten Urlaub dachte … Seither war aus den Rissen eine Kluft geworden. Ein Abgrund. Er schloss die Augen, so sehr überwältigten ihn die Scham und der Hass. Er sah wieder den Swimmingpool mit den knallbunten Schirmen rundherum vor sich. Die Kinder im Wasser. Die jungen Kellnern, die Drinks servierten. Er war nur dagelegen mit seiner verspiegelten Sonnenbrille. Und seine Frau hatte in Magazinen geblättert. Und dann hatte sie ihn plötzlich so seltsam angesehen, es war ihm vorgekommen wie eine kleine Ewigkeit, aber sie hatte kein Wort gesagt. Und dann war sie aufgestanden und ins Wasser gegangen. Er hatte ihr nachgeschaut, ihre Figur war wirklich noch schwer in Ordnung. Na ja, sie hatten ja auch keine Kinder. Und dann hatte er auf das Heft geblickt, das aufgeschlagen auf ihrer Liege lag, irgend so ein Frauenmagazin.
MEIN MANN IST SCHWUL.
Das war in Balkenlettern quer über die Doppelseite gestanden. MEIN MANN IST SCHWUL. Die Hälfte aller schwulen Männer ist verheiratet oder lebt in Partnerschaft mit einer Frau, das war darunter gestanden. Mehr hatte er nicht mehr lesen können. Er hatte geglaubt, sein Herz würde aussetzen. Er hatte kaum Luft bekommen. Dann hatte er zu seiner Frau im Schwimmbecken geschaut, aber die hatte ihre Längen gezogen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Und dann war sie wieder aus dem Wasser gestiegen und hatte sich abgetrocknet. Sie hatten kein Wort gesprochen. In seinen Ohren war so ein Pochen gewesen, so musste es sein kurz vor einem Herzinfarkt. Beim Abendessen waren sie sich schweigend
Weitere Kostenlose Bücher