Kalter Weihrauch - Roman
gegenübergesessen, aber das war keine Ausnahme gewesen, so war es bei ihnen fast immer. Und in der Nacht hatte er sie dann gevögelt. Richtig durchgevögelt. So wie noch nie zuvor. Es hatte ihm beinahe Spaß gemacht. Schwul, ja? Das hätte er ihr am liebsten ins Gesicht geschrien. Aber seine Frau war nur dagelegen wie ein Stück Holz. Dann war er von ihr runtergerollt und hatte sie seither nicht mehr angerührt. Kein einziges Mal. Sie lebten nebeneinander her wie … wie Marionetten. Perfekt aufeinander abgestimmte Marionetten. Jetzt gleich im Stüberl würden sie wieder das glückliche Paar sein, von allen beneidet. Er würde den Wein mit großem Getue entkorken und verkosten, seine Frau würde das warme Soufflee aus der Küche bringen, mit den funkensprühenden Wunderkerzen obendrauf, das war jedes Mal aufs Neue ein Riesenhallo. Ein echter Kracher.
Er klemmte sich die Flaschen unter den Arm und stieg die Kellertreppe hinauf. Oben drehte er das Licht ab und schloss die Tür. Dann ging er auf die Stube zu, wo ihre Gäste lachten.
III
Eine Schale mit roten Äpfeln und Walnüssen, eine weiße Kerze im Fenster und ein Teller mit Lebkuchen auf dem Tisch. Lisa Kleinschmidt seufzte. So hätte sie ausgesehen, ihre höchstpersönliche Weihnachtsdekoration. Schlicht und puristisch. Wie das der Heimatdichter Peter Rosegger in den Erinnerungen an seine Kindheit in der Steiermark immer geschildert hatte. Obwohl, damals war man nicht puristisch gewesen, sondern einfach arm. Bitterarm. Und ein paar selbstgebackene Lebkuchen waren schon eine Sensation gewesen. Und nicht wie heute überkandidelter Schnickschnack, mit dem die hauptberuflichen Gastgeberinnen in den Hochglanzmagazinen ihre Kaminsimse behübschten.
Jedenfalls, auf dezentes Dekorieren konnte man sowieso vergessen mit einem bastelwütigen Fünfjährigen unter dem gleichen Dach. Max hatte im Kindergarten bereits Dutzende Zeichnungen vom Nikolo angefertigt und die Wohnung damit geschmückt, außerdem ein Kilo Orangen mit Gewürznelken durchbohrt, der Saft war natürlich auf den Teppich getropft. Jetzt saß er am Tisch und malte hochkonzentriert seinen Brief ans Christkind. Mehrere dunkle Knödel befanden sich schon auf dem Zeichenblatt, sie stellten dar:
a) ein Playstation Starter Set mit x-box,
b) die dazugehörige live card plus headset (was immer das sein sollte, aber alle anderen Kinder im Kinder-garten besaßen es angeblich bereits) sowie
c) eine Tankstelle von Playmobil.
Jetzt verpasste er gerade einem roten Knödel den letzten Schliff, der von einer grüngetüpfelten Masche geziert wurde. Und was soll das sein, hatte sie argwöhnisch gefragt.
Ihr Sohn hatte sie listig angegrinst: »Das soll nur eine kleine Überraschung sein, die ich mir noch vom Christkind wünsche! Nur eine gaaanz kleine!«
Sie hatte einfach lachen müssen. So ein Schlingel, dieser Max, so ein Lausbub! Sie hätte in diesem Moment so gern irgendjemanden gehabt, mit dem sie … ach was. Vor Jahren hatte ihr eine Freundin, die Therapeutin war, von den alleinerziehenden Müttern erzählt, die zu ihr in die Praxis kamen, sofern sie sich das überhaupt leisten konnten. Und weißt du, was denen am meisten zu schaffen macht, hatte ihre Freundin Barbara sie gefragt. Denen fehlt jemand, mit dem sie sich über die Kinder freuen können. Ganz im Ernst. Nicht die Sorgen sind das Problem, die meistern eh alles allein, sondern dass nie jemand da ist, mit dem sie ganz spontan ihre Freude teilen können. Das macht diese Frauen am traurigsten. Eigentlich irgendwie komisch, findest du nicht? Und sie, die verheiratete Lisa Kleinschmidt, hatte nur den Kopf geschüttelt. Aber heute hätte sie jeder Einzelnen von diesen Frauen am liebsten die Hand geschüttelt. Ich bin eine von euch, hätte sie ihnen gesagt. Ich weiß so gut, was in euch vorgeht.
Na ja, wenigstens hielten ihre Kinder sie offenbar für eine Millionärin. Denn nicht nur Max hatte eine Wunschliste ans Christkind, die zusammenaddiert die Stromrechnung für zwei Monate ergab, sondern auch Miriam wünschte sich natürlich nicht bloß ein Paar warme Socken wie der Peter Rosegger früher. Ein neues Notebook, bitteschön, und Carving-Ski, diese Kleinigkeiten hatte ihre Tochter sie ganz lässig beim Frühstück vorige Woche wissen lassen. Das Notebook soll dir gefälligst dein Vater schenken, hatte sie geantwortet. Ihr heftiger Ton hatte ihr noch in derselben Sekunde leidgetan. Der schenkt mir eh schon das neue Smartphone, hatte die Miriam
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