Kalter Weihrauch - Roman
Augen, um sein angestrengtes, pflichtbewusstes und konzentriertes Nachdenken zu verdeutlichen.
»An einen Chrysler.« Er öffnete wieder die Augen. »Genau, an einen weinroten Chrysler, so einen sieht man nämlich nicht oft bei uns, drum hab ich mir das gemerkt. Ich bin einmal draußen gestanden, wie der Brillenheini weggefahren ist. Und da hab ich sein Auto gesehen. Der ist so einen altmodischen Chrysler gefahren. Die werden ja gar nicht mehr erzeugt, glaub ich. Einen Cruiser. 100-prozentig. Hat gut zu ihm gepasst übrigens.«
»Und das Kennzeichen haben Sie auch erkennen können?«
Hallwang wiegte den Kopf. »Eine Salzburger Nummer. SL, ja genau. Salzburg Land. Mehr weiß ich beim besten Willen nicht. Es war schon spät und ich bin …«
Ein Handy klingelte, Pestallozzi griff in die Brusttasche seiner Jacke. »Ja hallo?«
»Herr Chefinspektor?« Eine Frauenstimme.
»Ja?«
»Grüß Gott, hier spricht Melitta Strickler von der Telefonvermittlung in der Polizeidirektion. Wir haben gerade einen Anruf für Sie erhalten.«
Pestallozzi runzelte die Stirn. »Und warum wurde der nicht an mich weitergeleitet?«
»Weil der Anrufer nur einen Satz gesagt hat. Und dass ich den sofort an Sie weitersagen soll. Dann hat er aufgelegt, es war nämlich ein Mann. Der Anruf lässt sich leider nicht zurückverfolgen, er war zu kurz.«
Pestallozzi holte tief Luft, Leo und Hallwang beobachteten ihn interessiert.
»Frau Strickler, was sollen Sie mir ausrichten?«
»Dass die Suse zum Loibner ins Auto gestiegen ist. Genau das. Die Suse ist zum Loibner ins Auto gestiegen. Sagen Sie das diesem Inspektor Pestallozzi. Dann ist aufgelegt worden. Die Stimme war ganz normal, die hat völlig durchschnittlich geklungen. Ein Mann in mittleren Jahren, würde ich mal sagen. Tut mir leid, Herr Chefinspektor. Mehr weiß ich auch nicht.« Die Frau in der Telefonvermittlung klang ehrlich bekümmert.
»Vielen Dank, Frau Strickler. Sie haben wirklich ganz ausgezeichnete Arbeit geleistet. Ich werde mich sofort darum kümmern. Auf Wiedersehen!«
Pestallozzi steckte das Handy betont gelassen in die Jackentasche zurück und wandte sich wieder den beiden anderen am Tisch zu. »Also, ist Ihnen noch etwas eingefallen, Herr Hallwang?«
»Nichts, ganz ehrlich! Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß! Und wenn Sie mich mit glühenden Zangen zwicken, mehr weiß ich einfach nicht!« Ricardo Hallwang riskierte ein cooles Grinsen, Pestallozzi blieb gelassen.
»Das wird nicht nötig sein. Fürs Erste war es das. Aber wir kommen sicher wieder. Danke für Ihre Zeit!« Er stand auf, Leo erhob sich ebenfalls verblüfft. War’s das schon? Sollten sie diesen schnöseligen Gernegroß nicht härter in die Mangel nehmen? Was für ein Anruf war das gewesen, den der Chef da entgegengenommen hatte? Frau Strickler? Noch nie gehört! Aber der Chef war ganz aufgeregt, auch wenn er keine Miene verzog. Ihn, den Leo, konnte er einfach nicht täuschen.
Sie gingen wieder nach draußen, der Kellner Adi stand vor dem Eingang zum Café wie ein Zerberus. Der Schnee fiel in nassen Klumpen, jeder Tropfen patschte hörbar auf ihren Jacken. Vermummte Gestalten machten sich neben den Zapfstellen an ihren Autos zu schaffen, ein Fernfahrer mühte sich mit Ketten ab. Offenbar musste er über den Pötschen-Pass nach Bad Aussee, man konnte ihn fluchen hören. Endlich saßen sie in ihrem eigenen Wagen, Leo stellte sofort die Heizung und die Scheibenwischer an. Wann würde der Chef von diesem ominösen Anruf erzählen? Manchmal ließ er sich ganz schön bitten.
»Das war eine Frau Strickler aus unserer Telefonzentrale«, sagte der Chef. »Es ist ein Anruf reingekommen, der sich nicht zurückverfolgen lässt. Eine Männerstimme. Angeblich ist die Suse zum Loibner ins Auto gestiegen.«
Leo blieb der Mund offen, aber nur eine Sekunde lang, dann klappte er ihn wieder zu. »Zum Loibner? Das ist doch dieser grantige Bauer, oder? Nach der Gemeindeversammlung?«
»Das hat der Mann nicht gesagt. Aber ich gehe mal davon aus, dass er uns genau das mitteilen wollte. Alles andere würde nur wenig Sinn machen. Also, zum Loibner. Das ist der Hof unten am Weg zur Kapelle. Wo wir im letzten Sommer …«
»Weiß Bescheid.« Leo startete und pflügte durch den Matsch, dass ein Mechaniker vor der Waschstraße bis zu den Knien bespritzt wurde. Zum Glück trug er einen bereits ölverschmierten Overall. Er gestikulierte trotzdem wütend hinter ihnen her, Pestallozzi schüttelte ärgerlich den Kopf.
Weitere Kostenlose Bücher