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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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voran?«
    Pestallozzi unterdrückte ein Seufzen. »Das wird schon. Ist halt eine zähe Angelegenheit.«
    Der Habringer nickte so langsam und bedeutsam, als ob er schon oft mit Betschwestern zu tun gehabt hätte. Dann tippte er sich gegen die Schläfe und schlurfte davon. Pestallozzi sah ihm nach. Ein ausgesprochen angenehmer Mensch, der Habringer, er hätte ihm die Wahrheit sagen sollen, nämlich: Ich habe keine Ahnung, wer die Agota Lakatos erstickt hat. Ich weiß nicht einmal, welche Fragen ich stellen soll. Aber das hätte ja seinen Ruf als Großer Zampano verletzt. Er war eben auch nicht besser als der Woratschek. Ein eitler Geck.
    Sein Handy vibrierte, Pestallozzi erschrak beinahe. Lisa. Auch das noch. Wieso hob er jetzt nicht ab? Wegen der vorletzten Nacht? Was hatte die mit seiner Kollegin zu tun? Und überhaupt? Das nervtötende Vibrieren hörte auf, endlich. Und er war ein solcher Feigling.

V
    Die Welt wird silbern, dachte Leo. Früher, da hat sich der Advent viel wärmer und gemütlicher angefühlt. Wie die Lichter überall in den Straßen und in den Fenstern noch so altmodisch golden waren und nicht so bläulich glitzernd wie seit ein paar Jahren. Komisch, was ihm in letzter Zeit für Sachen durch den Kopf gingen. Obwohl, die silbrigkalte Weihnachtsbeleuchtung war sogar dem Krinzinger aufgefallen, der hatte nämlich darüber gejammert. Oder war es die Mama gewesen? Egal, eine ältere Person halt. Aber bedeutete das etwa am Ende, dass auch er, Leo Attwenger, der coolste Beamte der Salzburger Mordkommission und überhaupt, allmählich älter wurde? Vorgestern zum Beispiel war er in seinem Lieblingscoffeeshop gewesen, um sich einen Cappuccino Grande mit Vanilla-Topping reinzuziehen. Und was hatte die hübsche Braut hinterm Tresen da zu ihm gesagt? »Grüß Gott«, ganz im Ernst, statt »Hallo«! Na gut, die brauchte wahrscheinlich eine Brille. Aber die Anzeichen mehrten sich, dass auch …
    Der Chef neben ihm rührte sich, endlich. Der saß nämlich seit Salzburg da wie ein Gipsbuddha und redete kein Wort, und jetzt waren sie bald knapp vor Wien. Jetzt mussten sie nur noch die richtige Abfahrt erwischen, runter zur ungarischen Grenze. Und dann dieses Kaff mit dem unaussprechlichen Namen finden, Möschömöschmarosch oder so ähnlich. Wo diese Nonne ihre wohltätige Klosterfiliale aufgezogen hatte und sich um gefallene Mädchen kümmerte, so nannten die das doch. Und wo diese Agota hergekommen war. Zum Glück gab es keine Grenzstationen mehr, an denen man von übellaunigen Zöllnern gepiesackt werden konnte. Wo früher Stacheldraht und Wachtürme gewesen waren, da rauschte man jetzt einfach durch, die älteren Herrschaften konnten das noch immer nicht fassen. Sogar der Chef war gestern ganz nachdenklich vor der Karte von Zentraleuropa gestanden, als sie kurz über die Reiseroute gesprochen hatten. An diesen Grenzen sind Menschen gestorben, hatte der Chef gemurmelt und den Kopf geschüttelt. Ich war noch in der Schule, aber ich kann mich gut daran erinnern, viel zu gut. Und, weißt du noch, Leo, wie unser Außenminister damals den Stacheldraht zerschnitten hat?
    Er hatte natürlich genickt, aber sich auch sein Teil gedacht. Genau, und dann waren die Grenzen geöffnet worden, und seither kamen die Probleme wie Heuschrecken angeschwärmt. Die Kollegen vom Raubdezernat konnten ein Lied davon singen. Von den Einbrüchen und Banküberfällen und den Rentnern, die eins übergezogen bekamen, wenn sie von der Bank nach Hause tapperten. Und kaum ein Täter hieß mehr Gustl oder Anton. Dafür waren sie bitterarm und hungrig und kamen von weit her. Und hatten bestimmt keine schöne Kindheit gehabt und nie ein Weihnachten mit Tannenbaum und Geschenken, das sah man ihren Gesichtern an. Aber die Brutalität nahm zu, und die Leute fürchteten sich, auch die Oma und die Tante Fini. Und die Politiker spuckten ihre vorgestanzten Worthülsen aus. Es wurde kälter rundum, nicht nur wegen der silbernen Lichter. Leo zog die verspannten Schultern hoch und drehte an der Heizung, der Chef sah ihn prompt erstaunt an. »Ist dir kalt? Das kenn ich ja gar nicht von dir!«
    »Die Scheiben laufen sonst an.«
    »Aha.«
    Zum Glück mussten sie sich jetzt beide auf den Weg konzentrieren. Nach Bergen und Hügeln war die Landschaft nun so flach wie ein Bügelbrett, es lag kaum mehr Schnee auf den Feldern. Der Himmel hing bleigrau über ihnen und ging am Horizont in braunen Matsch über. An den Häusern entlang der Straße bröckelte der

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