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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Buch gegen die Brust gepresst, die Kinder drängten sich in ihrem Rücken zusammen. Die junge Frau redete heftig auf Ungarisch, sie deutete mit einem Arm zur Tür, nicht einmal der Chef schien sie beruhigen zu können.
    »Wir möchten gern zu Schwester Annunziata«, sagte Pestallozzi, er betonte den Namen laut und deutlich und verwünschte sich insgeheim, dass er sich nicht wenigstens ein paar Brocken in der fremden Sprache zurechtgelegt hatte. Köszönöm hieß danke, das war alles, was er wusste. »Köschönöm«, sagte Pestallozzi, die junge Frau hielt verdutzt inne. Pestallozzi schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln, Leo grinste möglichst nett. »Schwester Annunziata«, sagte Pestallozzi noch einmal und hob dazu beschwichtigend beide Hände, die junge Frau holte tief Luft und schien sich ein wenig zu beruhigen. Eine kleine Zopfmamsell hinter ihr riskierte ein schüchternes Lächeln.
    »Wir wollen nur …«, sagte Pestallozzi, aber in diesem Moment schlug eine Tür auf der anderen Seite des Ganges, und sie wandten sich alle um. Eine Klosterschwester in weißer Tracht kam auf sie zu, sie wirkte so energisch und entschlossen, dass sich Leo unwillkürlich straffte. Mit der war nicht gut Kirschen essen, das sah man auf den ersten Blick. Die Schwester trug eine graue Strickweste über ihrer Tracht, unter dem langen Rock sahen bei jedem Schritt schwarze Schuhe hervor, die so klobig wirkten wie schwere Arbeitsstiefel.
    »Sind Sie …«, hob Pestallozzi an, aber der Drache in Weiß ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
    »Ich bin Schwester Annunziata, und dort drüben ist mein Büro. Hat Ihnen unsere ehrwürdige Mutter denn nicht erklärt, wo Sie mich finden? Und wieso war das Tor offen und nicht abgesperrt?«
    Sogar dem Chef blieb die Spucke weg, sie standen beide da wie die Schulbuben. Aber die Schwester hatte sich bereits der jungen Frau zugewandt und redete heftig auf sie ein, während sie zum Tor wies. Die junge Frau hielt schuldbewusst den Kopf gesenkt und nickte nur. Das schien die bestmögliche Verhaltensweise gegenüber Schwester Annunziata zu sein. Endlich hatte die Gardinenpredigt ein Ende, und Schwester Annunziata schien sich wieder ihrer Gäste zu entsinnen. »Folgen Sie mir«, lautete ihr barsches Kommando.
    Sie dackelten hinter ihr drein und betraten das kalte Eckzimmer schräg gegenüber, für das Büro eine geradezu hochstaplerische Bezeichnung war. Ein Holztisch, auf dem sich Papierstöße, ein Klappkalender und Dosen mit Kugelschreibern, Gummiringerln, Heftklammern und Pflastern befanden. Ein Stuhl dahinter, einer davor sowie eine Art Fußbank an der Wand. Von der Decke baumelte eine Glühbirne ohne Schirm. In der Ecke hing Christus am Kreuz. Sehr gemütlich.
    »Bitte«, sagte Schwester Annunziata zu Pestallozzi und wies auf den Stuhl vor dem Tisch, sie selbst setzte sich dahinter. Von Leo nahm sie keine Notiz, auch gut. Pestallozzi deutete auf die Bank, und Leo ließ sich zögerlich darauf nieder, das Holz knarzte und ächzte, Schwester Annunziata zog eine Braue hoch. Endlich saßen sie alle drei, Leo nur auf einer Pobacke.
    Ein harter Brocken, dachte Pestallozzi. Allerdings möchte ich mir auch nicht ausmalen, was die Frau hinter dem Tisch schon alles gesehen und erlebt hat. Und wie viele Drohungen übelster Art sie bereits hat wegstecken müssen. Es war ja schon ein Knochenjob, im Westen in einem Frauenhaus zu arbeiten. Aber sich hier, hinter der Grenze, um junge Frauen zu kümmern, die Kontakt zum Rotlichtmilieu hatten, das war schlicht und einfach lebensgefährlich.
    »Es tut uns aufrichtig leid, dass wir so hereingeplatzt sind«, sagte Pestallozzi. »Ich kann Ihren Groll gut verstehen.«
    Die Frau hinter dem Schreibtisch sagte kein Wort, endlich deutete sie ein Nicken an. Ein richtiges Mannweib, dachte Leo. Normalerweise umgab Klosterschwestern ja immer so eine Art Aura, mit ihrem gütigen Lächeln und diesem ganzen sanften Getue. Aber die hier sah aus, als ob sie einem jederzeit ein Knie in die Weichteile rammen könnte. Leo ruckelte unbehaglich auf der wackligen Bank herum.
    »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, säuselte der Chef gerade weiter. »Ich bin Chefinspektor Artur Pestallozzi von der Mordkommission Salzburg, und das ist mein Kollege Leo Attwenger. Ich denke, Sie wissen, weshalb wir hier sind.«
    Schwester Annunziata sah ihn an, als ob sie ihn gerade zum ersten Mal richtig wahrnehmen würde. Pestallozzi ließ die Musterung über sich ergehen. Das Gesicht seines

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