Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
gegenüber diesem Befehl auch beugen? Pestallozzi wartete ab, so schwer es ihm fiel. Es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig. Die Schwester in der weißen Tracht war seine einzige Chance, in diesem vertrackten Fall einen Schritt weiterzukommen.
    »Konnten Sie sich denn überhaupt mir ihr verständigen?« Er versuchte, ihr einen Weg zu bahnen.
    »Sie hat leidlich Deutsch gesprochen, wie fast alle hier. Nach und nach dann immer besser, durch die Kunden natürlich. Ihre Familie ist aus Rumänien gekommen, aus Siebenbürgen. Dort sprechen viele noch immer ein altmodisches Deutsch. Dorthin ist die Lakatos-Familie im vergangenen Jahr auch wieder zurückgekehrt.«
    Ungarn. Rumänien. Siebenbürgen. Es kam ihm vor, als ob dieser Fall ihn immer tiefer in den dunklen Wald locken würde, wie in den schaurigen Märchen, die er als Kind nie hatte lesen oder hören wollen. Und er musste endlich ein Ende vom Wollknäuel finden, das sie alle wieder hinausführen würde.
    »Was ist passiert?« Er würde hier sitzen bleiben, bis sie zu reden anfing. Bis sie auf ihren Sesseln festgefroren waren. Bis der Christus von der Wand fiel. Sie sah ihn an, als ob sie seine Gedanken lesen, seine Entschlossenheit spüren würde. Dann holte Schwester Annunziata tief Luft. »Agota Lakatos hat für Ferdinand Oslip gearbeitet, einen Österreicher, dem Diskotheken, Fitnessklubs und zwei Hotels gehören. Natürlich nicht offiziell, sondern als stillem Teilhaber. Jeder kennt ihn hier unter dem Namen Ferri. Herr Oslip ist einer der größten Zuhälter diesseits der Grenze. Er organisiert Transporte von Frauen bis hinauf nach Amsterdam. Das Übliche, die Frauen werden als Kindermädchen oder Putzfrauen angeworben und finden sich dann in einem Bordell wieder, wo sie die angeblichen Spesen abarbeiten müssen. Wer nicht pariert, dem wird damit gedroht, dass die Familie zu Hause zur Rechenschaft gezogen wird, viele der Frauen haben ja kleine Kinder zurückgelassen. Aber der Herr Oslip macht sich natürlich nicht selbst die Hände schmutzig mit solchen Methoden, ganz im Gegenteil, der ist ein sehr angesehener Mann. Herr Oslip spendet gern und großzügig für wohltätige Zwecke. Im vergangenen Jahr hat er eine alte Mühle hier zu einem Kulturzentrum umbauen lassen, zur Eröffnung sind sogar Politiker aus Wien und Budapest gekommen.« Sie bemühte sich sichtlich um einen sarkastischen Ton, aber die Bitterkeit in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    »Und Agota Lakatos wollte nicht mehr für ihn arbeiten?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das war es nicht.«
    Was war es dann, hätte er am liebsten geschrien. Aber so würden sie nicht weiterkommen. Und andererseits, sie sprachen hier in so ruhigem Tonfall über Ungeheuerlichkeiten, da brauchte es wohl Zeit.
    »Was war es dann?«, fragte Pestallozzi, es klang beinahe beiläufig.
    »Ihr kleiner Bruder ist im März vor einem Jahr von einem Auto angefahren und getötet worden. Das habe auch ich erst sehr viel später erfahren. Die genauen Hintergründe sind bis heute nicht geklärt worden. Auf einem Parkplatz vor dem Shoppingcenter drüben am Autobahnzubringer Richtung Wien. Aber es gibt natürlich Wichtigeres als den Tod eines Kindes aus einer Romafamilie. Der Fall ist zu den Akten gelegt worden, nicht einmal die lokalen Zeitungen haben länger als einen Tag darüber berichtet.«
    »Glauben Sie, dass …«
    Draußen auf dem Gang öffnete sich eine Tür, das ganze Haus schien plötzlich von Kinderstimmen erfüllt. Füße trappelten vorbei, offenkundig gab es ein Gerangel, dann war die junge Frau zu vernehmen. Sie saßen alle drei da und lauschten, es war wie ein Atemschöpfen mitten in der Anstrengung. Dann entfernten sich die Stimmen wieder, wurden leiser, das hölzerne Tor wurde wenig sanft zugedrückt. Dann war es still. Pestallozzi machte keine Anstalten, die Stille zu unterbrechen, schon gar nicht mit einer weiteren Frage, einem weiteren Nachbohren. Schwester Annunziata hatte zu reden begonnen, jetzt würde sie es auch zu Ende bringen.
    »Soviel man weiß, dürfte ihr Bruder in der Früh getötet worden sein«, sagte Schwester Annunziata. »Und am Abend desselben Tages ist Agota Lakatos in einem Hinterzimmer von City Lights, das ist eine Diskothek auf der Straße nach Sopron, mit einem Messer auf Ferdinand Oslip losgegangen. Seine Leibwächter haben sie natürlich sofort überwältigt. Aber sie dürfte ihn doch geringfügig verletzt haben, das habe ich später von anderen Mädchen erfahren. Oslip muss

Weitere Kostenlose Bücher