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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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weiße Weste!«
    »Aber Sie haben sich doch ganz bestimmt Gedanken gemacht. Wer kommt Ihnen da in den Sinn, in welche Richtung denken Sie?«
    »Ich habe keine Ahnung. Und ich habe viel nachgedacht, das können Sie mir glauben.«
    »Könnte es sein …«, er zögerte, dann sprach er weiter, »… dass irgendjemand aus Ihrem Kloster, eine andere Schwester vielleicht, die Anwesenheit von Agota Lakatos mit ihrer sehr speziellen Vergangenheit als so … so unpassend empfunden haben könnte, dass …«
    »Niemals!« Sie funkelte ihn an. »Dieser Gedanke ist völlig abwegig, ja geradezu niederträchtig. Sie haben offenbar nicht die geringste Ahnung, was das Zusammenleben in einer Ordensgemeinschaft ausmacht, Herr …«
    »Pestallozzi. Es tut mir wirklich leid, wenn ich Ihre Gefühle verletzt habe. Das war nicht im geringsten meine Absicht, bitte glauben Sie mir. Aber Sie müssen auch verstehen, dass ich in meiner Arbeit schon die unglaublichsten Wendungen erlebt habe. Alles ist möglich, so banal das klingen mag. Auch das Unvorstellbare.«
    Sie schnaubte nur. Das Unvorstellbare war für Schwester Annunziata täglich Brot. Die Unbefleckte Empfängnis, die Auferstehung, das Jüngste Gericht. Und da kam er daher mit seinen hässlichen Verdächtigungen und wollte die dann mit hohlen Redewendungen beschönigen. Bei Schwester Annunziata hatte er verschissen, das dachte sich der Leo ganz bestimmt in diesem Augenblick. Falls er nicht schon völlig erfroren war. Pestallozzi steckte den Spiralblock wieder weg, seine Finger waren so steif, dass ihm beinahe der Kugelschreiber entglitt.
    »Dann möchte ich mich für das Gespräch bedanken. Gibt es vielleicht noch irgendeinen Aspekt, den wir beachten sollten?«
    Aber sie schüttelte nur abermals den Kopf, es war vergebliche Liebesmüh.
    »Darf ich Ihnen meine Karte geben, falls Ihnen doch noch etwas einfallen sollte.« Er nestelte umständlich eine Karte mit abgeknickten Ecken und einem Kaffeefleck hervor, seine letzte, und legte sie auf den Tisch. Schwester Annunziata nickte gnädig. Sie standen alle drei auf, er und Leo umständlich, mühsam, von der Kälte ganz steif, nur ihre Gastgeberin schien von der Temperatur im Raum völlig ungerührt. Sie hatte ihnen nicht einmal einen heißen Tee angeboten, das fiel ihm erst jetzt auf. Aber es erschien ihm passend und nicht einmal unfreundlich. Tee trinken, das war für Schwester Annunziata einfach nur Schnickschnack.
    Im Gang draußen war es so kalt wie in Sibirien. Die Tür zu dem Zimmer, in dem die Kinder gespielt hatten, war nur angelehnt, Schwester Annunziata schloss sie mit einem ärgerlichen Ruck: »So geht die ganze Wärme verloren. Wir verbrauchen sowieso schon viel zu viel Holz.«
    »Ist das ein Klosterkindergarten?«
    Sie warf ihm einen Blick von der Seite zu. »Wir fragen nicht nach der Konfession, falls Sie das meinen. Die Kinder kommen aus der Umgebung, manche müssen wir jetzt im Winter abholen, weil sie keine Schuhe haben. Bei uns kriegen sie eine warme Mahlzeit, und wir versuchen ihre Eltern zu bewegen, sie später dann in die Schule zu schicken. Das ist nicht unbedingt üblich hier.«
    Das glitzernde Wien mit seinen prachtvoll geschmückten Nobeleinkaufsstraßen war gerade mal 40 Minuten entfernt, über die Autobahn. Aber für die Familien, aus denen diese Kinder kamen, musste es wie ein Weg zum Mond sein. Trotzdem versuchten es immer mehr oder schickten wenigstens ihre Kinder. Die mussten dann durch die überfüllten U-Bahnen ziehen, mit einem Pappbecher in der Hand, und die alten Lieder singen, die im Gedränge nur als lästig empfunden wurden. Am Abend klimperten dann ein paar Münzen in den Bechern, aber das half den Kindern auch nicht weiter. Oder den Müttern, die bei eisigkaltem Wind auf den Gehsteigen saßen, mit einem Säugling im Arm und bettelten. Denn immer stand nur ein paar Meter entfernt ein Aufpasser und behielt sie im Auge, dass ja kein Cent irgendwo in den Kittelfalten verschwand. In der Welt der Armut und der Ausbeutung hatten die Männer das Sagen, ob sie nun ein Ferdinand Oslip waren oder ein kleiner Ganove mit einer Selbstgedrehten zwischen den Fingern. Aber die Frau in der weißen Tracht unter der grobgestrickten grauen Weste und mit den klobigen Schuhen stemmte sich dagegen auf ihre ganz persönliche Weise, die bestimmt nicht die seine war, mit Beten und dem Heiland am Kreuz. Doch sie versuchte es wenigstens, so viele sahen nur weg oder füllten vor Weihnachten ein paar Erlagscheine aus und

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