Kalter Zwilling
Im Laufe der Zeit verliebte er sich.
Von diesem Tag an versuchte er alles, um sie aus dieser üblen Szene zu befreien. Der Puff, der unter dem Namen »Exklusiv-Club« in Dormagen, keine fünf Minuten von Zons entfernt, logierte, war der größte in der Gegend. Die meisten Mädchen dort stammten aus Osteuropa. Vermutlich waren sie alle gegen ihren Willen verschleppt worden. Sophia wollte einfach nur nach Deutschland, raus aus der Ukraine. Wie so viele andere Frauen auch vertraute sie sich einem Menschenhändlerring an, der sie anschließend erpresste. Entweder Prostitution oder eine »exklusive« Rückfahrkarte in die Ukraine.
»Verdammt, Klaus. Ich habe deine Visitenkarte vom Tatort verschwinden lassen, und du Trottel hast nichts Besseres zu tun, als das Mädchen anzurufen.« Oliver rieb sich angespannt die Schläfen. Natürlich wusste Klaus damals gar nicht, dass Sophia Koslow nicht mehr lebte. Wenn Oliver ihn direkt angerufen hätte, dann wäre die ganze Sache vielleicht nie ans Licht gekommen, aber für solche Gedanken war es jetzt zu spät. Verzweifelt überlegte Oliver, wie sie beide aus dieser verflixten Situation ausbrechen könnten, aber sein Kopf war leer.
»Hör mal, Oliver. Ich werde morgen zu Steuermark gehen und ihm die ganze Geschichte offenlegen. Von der Visitenkarte muss doch niemand etwas wissen.« Klaus blickte Oliver an. Am liebsten wäre er für immer in seinem Selbstmitleid versunken. Er hatte die Frau, die er eigentlich liebte, betrogen und noch dazu seinen Partner in Schwierigkeiten gebracht. Und das für eine Prostituierte, die er letztendlich nicht von ihrem Job abbringen konnte. Obwohl er es vor vier Wochen endlich geschafft hatte, sie aus dem »Exklusiv-Club« herauszuholen, war sie bereits eine Woche später auf »www.KAUFmich.com« erschienen. Sie hatte sich dort mit anderen Frauen zusammengetan, die dem schnellen Euro zugeneigt waren.
Klaus würde nie vergessen, wie elend er sich fühlte, als er es herausbekam. Von wegen Menschenhandel und Erpressung. Sie tat es für Geld! Sicher, sie mochte ihn. Aber ihren gutbezahlten Job hätte sie seinetwegen nicht an den Nagel gehängt. Sie hatten sich heftig gestritten, und eigentlich wusste Klaus selbst nicht mehr, warum er sie wieder angerufen hatte. Es war eher eine Gewohnheit als eine bewusste Entscheidung. Jedenfalls wollte er seine unglückliche Affäre mit Sophia endgültig beenden. Sein Beschützerinstinkt war verflogen, spätestens seitdem er herausgefunden hatte, dass sie wirklich eine Hure war und kein armes ukrainisches Mädchen, welches zum Sex gezwungen wird.
Müde rieb Klaus sich die Augen. Morgen würde er reinen Tisch machen. So viel stand fest.
...
Emily starrte angestrengt auf das Navigationssystem ihres Peugeots. Sie konnte es nicht fassen, es hatte sich schon wieder verschluckt. Der blaue Pfeil, der eigentlich ihre aktuelle Position anzeigen sollte, zitterte auf dem kleinen Bildschirm hin und her, als wenn er sich nicht entscheiden könnte, wo es langging. Wütend schlug sie mit der flachen Hand gegen das Display. Fehlanzeige. Der blaue Pfeil war beleidigt verschwunden und das Navigationssystem zeigte nun zu wenige Satelliten an.
Prima, dachte Emily. Das ging ja gut los. Sie blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie sich bereits um zehn Minuten verspätet hatte. Gerade als sie ihr Smartphone aus der Tasche holen wollte, entdeckte sie am Straßenrand ein großes weißes Schild mit einem roten Kreuz. In schwarzen Buchstaben stand »Krankenhaus« darauf. Das musste es sein! Sie folgte der Beschilderung und bog auf eine einsame Landstraße ab. Rechts und links erstreckten sich Felder, an die zu beiden Seiten Wälder angrenzten. Das Laub hatte sich bereits leicht verfärbt. Die Landschaft erstrahlte in einem unglaublich warmen Licht und Emily konnte sich gar nicht vorstellen, dass inmitten einer so schönen Landschaft eine psychiatrische Klinik beheimatet sein sollte.
Die Straße machte eine sanfte Biegung und Emily brauste mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kurve. Sie liebte hohes Tempo. Es war aufregend, in den Autositz gedrückt zu werden und dabei das Aufheulen des Motors zu hören. Am liebsten hätte ihr rechter Fuß das Gaspedal nicht mehr losgelassen, aber als ihr ein breiter Traktor entgegenkam, siegte die Vernunft über ihren Wagemut. Mit einem Seufzer nahm sie den Fuß vom Gas.
Emily bog in einen schmalen Waldweg ab. Große Birken säumten den Wegesrand und rauschten im Herbstwind. Der
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