Kalter Zwilling
Leiche, das fehlte ihm gerade noch. Eigentlich hatte er Marie versprochen, den Nachmittag mit ihr zu verbringen. Sie war jetzt seit drei Monaten guter Hoffnung und ihr Bauch begann sich langsam zu wölben. Bastian liebte Kinder und schon jetzt war er voller Vorfreude. Etwas knackste im Unterholz. Bastian sah sich um. Ein aufgescheuchter Fuchs suchte schleunigst das Weite.
»Hier vorne ist es.« Pfarrer Johannes deutete auf eine große Kastanie. »Direkt dort unter dem Baum haben sie ihn gefunden. Meine Messdiener sollten eigentlich frisches Holz besorgen, doch stattdessen sind sie auf den toten Matthias Hohnrath gestoßen.«
Bastian und Wernhart traten näher. Von weitem sah der Mann aus, als würde er unter der uralten Kastanie ein Nickerchen halten. Er lag auf der Seite. Seine Knie waren angezogen. Erst als Bastian direkt vor ihm stand, erkannte er die Brutalität dieses Mordes. Die Kleidung des Mannes war an der Vorderseite vollständig aufgerissen. Die Eingeweide oder das, was noch davon übrig war, hingen aus dem aufgeschlitzten Leib heraus. Die Nase war ebenfalls abgefressen. Trotz des entstellten Gesichtes konnte Bastian Matthias Hohnrath, den Schmied, erkennen.
Überall schwirrten fette, blau und grün schimmernde Fliegen über der Leiche herum. Sie krochen über die verwesende Haut des Schmiedes und in seine Körperöffnungen. Eine Welle der Übelkeit stieg in Bastian auf. Wernhart, der an den Füßen der Leiche stand, bückte sich plötzlich.
»Was haben wir denn hier?« In seinen Fingern hielt er das Ende einer Schlinge, die fest um die Füße der Leiche gezogen war. Auch der andere Fuß steckte in einer Schlinge fest. Nachdenklich rieb sich Bastian das Kinn und kniff dabei seine braunen Augen zusammen. Der Mörder hatte den kräftigen Schmied in eine Falle gelockt. Soviel war Bastian klar. Vermutlich hatte er ihn gefesselt, bevor er ihn aufschlitzte. Der Schmied war ein starker Mann. Dicke Muskelstränge definierten seinen Körper. Nur ein mindestens ebenso kräftiger Gegner konnte es von Angesicht zu Angesicht mit ihm aufnehmen.
Bastian überprüfte die Rückseite des Toten. Sie schien unverletzt. Am Hals entdeckte er Würgemale, die von einem Seil stammen konnten. Dieselben Male fanden sich an beiden Handgelenken.
»Ich vermute, dass der Schmied in einen Hinterhalt geriet und gefesselt wurde. Der Mörder ist bestimmt ein kluger Mann. Körperlich war er dem Schmied wahrscheinlich unterlegen, ansonsten hätte er ihn einfach angreifen können.«
Bastian durchsuchte die Taschen des Toten. Fast alle waren nach außen gedreht. Offensichtlich war die Leiche bereits durchsucht worden. Er fand drei Weißpfennige und ein dreckiges Leinentuch, an dem schwarzer Ruß klebte. Achtlos warf Bastian das Tuch zur Seite, hielt aber noch in der Bewegung inne. Aus dem Inneren des Lumpens hatte sich ein weiterer Taler gelöst, der mit hellem Klingen auf einem Kieselstein aufschlug. Erstaunt pfiff Bastian durch die Zähne und bückte sich nach der goldenen Münze.
»Pfarrer Johannes, seht Euch diesen Goldgulden an. Wie kommt ein einfacher Schmied an eine solche Münze?«
Johannes, der sich am Stamm einer Eiche ausruhte, richtete sich auf. Neugierig betrachtete er die Münze.
»Vielleicht war dieser Goldgulden der Grund für seine Ermordung. Der Mörder hat alle Taschen danach durchsucht und diesen kleinen Schatz hier nicht entdeckt. Aus lauter Wut hat er den Schmied aufgeschlitzt. Wo habt Ihr die Münze gefunden?«
»Sie war fest in ein verrußtes Leinentuch eingewickelt«, entgegnete Bastian.
»Ich habe sie nur zufällig entdeckt, weil sie herausgefallen ist.«
Nachdenklich musterte Bastian den Toten. Pfarrer Johannes könnte recht haben. Der Mörder hatte den Schmied vermutlich gefesselt und gefoltert. Als er nicht fündig wurde, metzelte er ihn in rasendem Zorn nieder.
»Aber woher soll der Mörder von dem Goldgulden gewusst haben?«, warf Wernhart zweifelnd ein.
»Das ist mir auch ein Rätsel.« Bastian kniff angestrengt die Augen zusammen. »Aber alle seine Taschen sind durchsucht worden. Sieh doch selbst, Wernhart. Sie sind fast alle nach außen gedreht.«
Pfarrer Johannes warf Bastian die Münze zu. »Hier, mein Junge, nehmt sie an Euch und durchsucht die Schmiede. Vielleicht findet Ihr noch mehr davon.«
VI.
Gegenwart
Er drehte die goldene Münze mit den Fingern seiner rechten Hand. Er hätte Zauberkünstler werden können, so geschickt ließ er den Gulden vom Zeigefinger bis zum
Weitere Kostenlose Bücher