Kalter Zwilling
unauffälligen kleinen Loch. Bastian zwängte seine Finger hindurch und tastete blind hinein. Er fühlte kaltes Metall. Das mussten Münzen sein. Zügig ließ er eine Münze zwischen seine Finger gleiten und zog sie vorsichtig heraus. Er traute seinen Augen nicht.
Es war eine Goldmünze. Der stehende Petrus entsprach genau dem Abbild, welches Bastian auf der Münze des ermordeten Schmiedes gesehen hatte. Abermals langte er in den Sack und holte noch weitere Geldstücke heraus. Sie waren alle aus Gold und hatten dieselbe unleserliche Inschrift. Bastian verstaute die Münzen in einem Lederbeutel unter seinem Wams und wollte sich gerade an der Luke nach oben ziehen, als er Schritte vernahm. Konnte der Schiffsjunge schon zurück sein? Nein, instinktiv schüttelte Bastian den Kopf. In so kurzer Zeit hätte er unmöglich eine Schenke besuchen können. Bastians Herz begann zu rasen. Dort oben liefen mehrere Männer auf dem Deck herum. Wenn er nicht entdeckt werden wollte, musste er sich schnell etwas einfallen lassen.
...
August kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen. Die Schenke war randvoll. Seine Stiefmutter Martha schuftete schon seit Stunden in der Küche und kam mit dem Essen kaum hinterher. Dicke Rauchschwaden machten das Atmen schwer und trieben August die Schweißperlen auf die Stirn. Sein Bruder Christan bediente gerade zwei betrunkene Treidelknechte, die heute ihren Lohn bekommen hatten. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als das magere Einkommen direkt zu versaufen. August kannte die beiden, denn sie kamen jede Woche hierher. Einer von ihnen hatte es einmal gewagt, Martha schöne Augen zu machen, doch nachdem August ihn zur Rede gestellt hatte, war ihm das Schäkern vergangen. Trotzdem hatte August ein Auge auf ihn.
In der hinteren Ecke der Hafenschenke saß Gilig mit einem kräftigen jungen Burschen. Christan brachte den beiden frisches Met. Als er die beiden Krüge auf der hölzernen Tischplatte absetzte, tätschelte Gilig ihm den Hintern. August nahm diese Geste aus den Augenwinkeln wahr. Ihm stockte der Atem. Was fiel diesem Buckligen ein! Christan sprang entsetzt einen Schritt zurück, stolperte über ein Stuhlbein und fiel krachend zu Boden. Gilig war auf der Stelle über ihm und wollte ihm aufhelfen. Dabei fuhr sein lüsterner Blick einmal von oben bis unten über Christans Körper.
Rasende Wut stieg in August auf. Mit einem Satz war er bei seinem Bruder und stieß Gilig brutal zur Seite. Er half Christan auf und schickte ihn zurück in die Küche, dann drehte er sich mit starrem Gesicht zu Gilig herum. Dieser sah ihn aus angsterfüllten Augen an, die immer größer zu werden schienen, als August mit aller Kraft die Kehle des Buckligen zuzudrücken begann. Verzweifelt schlug Gilig um sich. Speichel troff aus dem aufgerissenen Mund und die Augäpfel drohten aus den Höhlen zu quellen, doch August ließ nicht von ihm ab. Eine unbändige Wut loderte in seinem Inneren. Er wollte diesen geifernden Kerl ein für alle Mal tot sehen.
»August!« Ein schriller Schrei holte August in die Gegenwart zurück. Martha trommelte mit beiden Fäusten auf den Rücken ihres Stiefsohnes ein.
»Lass ihn los oder willst du dich unglücklich machen?«
August ließ von Gilig ab und zischte: »Wenn Ihr Euch noch einmal an meinen Bruder heranmacht, töte ich Euch! Verstanden?«
Gilig, der aus Mund und Nase blutete, nickte apathisch. Ohne ein weiteres Wort warf er ein paar Weißpfennige auf den Tisch und humpelte aus der Schenke.
Aufgebracht blickte August ihm nach. Ein einziger Gedanke spukte in seinem Kopf herum. Mit dir bin ich noch nicht fertig, Gilig Ückerhoven! Warte ab!
...
Bastian lauschte angestrengt. Die Schritte, die er gerade noch über sich an Deck des Schiffes gehört hatte, waren verhallt. Wo waren die Männer hin? Ein kratzendes Geräusch gab ihm die Antwort. Ein schwerer Gegenstand wurde über die Holzplanken geschoben. Bastian blickte nach oben durch die Luke und konnte den Rand einer großen Truhe erkennen.
»Wie viele Säcke sind es?«, fragte eine raue Männerstimme.
»Drei von jeder Sorte. Hast du die vereinbarten Weißpfennige bekommen?« Bastian konnte keine Antwort hören, stattdessen fragte die Stimme weiter: »Was ist mit dem Sohn des Schmiedes? Macht er jetzt mit oder muss ich einen neuen Münzmeister besorgen?«
»Er denkt noch nach und hat sich bis Ende dieser Woche Zeit für eine Antwort erbeten.«
»Er muss schneller nachdenken, wir legen morgen
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