Kalter Zwilling
Zeiten, als er noch jünger war und der Bucklige ständig im Wald herumschlich, um ihn und seine Freunde zu beobachten. Er war ein merkwürdiger Geselle und Wernhart war stets froh, wenn er ihm nicht über den Weg lief. Trotz seines Buckels bewegte Gilig sich kräftig und schnell. Auf Wernhart wirkten diese Bewegungen unheimlich, so als hätte der Bucklige einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Der Bruderälteste wohnte am Anfang der Zehntgasse, die sich mitten im Kern von Zons befand. Wernhart ließ den Krötschenturm hinter sich und schlich Richtung Süden an der Kirche vorbei in das Gässchen. Er näherte sich vom anderen Ende, damit ihn Reinhard Nolden im Zweifel nicht sofort entdeckte.
Als er vor dem Haus stand, vernahm er Stimmen. Sie stritten sich. Vorsichtig presste Wernhart sich an die Wand unter dem Fenster und lauschte.
»Wo sind meine Goldgulden?« Der Zorn in der Stimme drang wie ein Fausthieb an Wernharts Ohr.
»Ich sagte Euch doch, dass die Stadtwache die Münzen in Giligs Haus gefunden und beschlagnahmt hat. Er hat uns beide betrogen! Ihr solltet Eure Wut an ihm auslassen und nicht an mir!«
Wernhart erkannte den Bruderältesten, der äußerst ängstlich klang.
»Wir hatten eine Abmachung mit Euch. Der Bucklige ist Euer Knecht und Ihr tragt die Verantwortung für seine Taten. Also sage ich es Euch zum letzten Mal, bringt mir meine Münzen, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«
Reinhard Nolden jammerte: »Ich habe versucht, einen neuen Münzmeister zu finden, aber es gibt nicht viele Schmiede mit diesem Talent. Ich kann Euch so schnell keinen Ersatz beschaffen. Ihr müsst mir mehr Zeit geben!«
»Ihr habt bis Ende dieser Woche Zeit oder Ihr fahrt direkt in die Hölle!« Die Stimme klang gnadenlos. Wernhart spürte, wie das Blut in seinen Ohren rauschte. Wenn das der hagere Mann war, von dem Bastian gesprochen hatte, sollte er lieber unentdeckt bleiben. Dieser Kerl war zu allem fähig.
Die Tür flog auf und eine schwarze Gestalt trat hinaus. Wernhart konnte nur die Umrisse des großen, schlanken Mannes wahrnehmen, der sich mit schnellen Schritten vom Haus entfernte. Wernhart blieb starr vor Schreck unter dem Fenster sitzen und lauschte in die Stille hinein. Drinnen hörte er Reinhard Nolden durch die Stube gehen. Die Holzplanken knarrten bei jedem Schritt. Der Bruderälteste brummelte undeutliche Worte vor sich hin. Wernhart konnte sie nicht verstehen.
Plötzlich wurde die Tür erneut aufgerissen und Nolden trat hinaus. Er blickte in die Richtung, in die der Fremde entschwunden war. Dann begann er erneut mit sich selbst zu sprechen und diesmal konnte Wernhart einige Wortfetzen verstehen: »Der Bluthund des Erzbischofs!«
Reinhard Nolden ging wieder hinein und knallte die Tür zu. Die Schritte entfernten sich und Wernhart saß alleine mit schweißnassen Händen unter dem Fenster. Langsam erhob er sich und reckte seine von der Kälte steif gewordenen Beine. Ohne einen Laut zu machen, schlich er durch die engen Gassen von Zons zurück zu seiner Hütte. Gleich morgen früh würde er Bastian Mühlenberg berichten, was er soeben gehört hatte.
...
Josef Hesemann schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann nicht mehr viel für ihn tun.« Bastian Mühlenberg stand im Türrahmen und blickte auf den zuckenden, ausgemergelten Leib von Jakob Honrath. Über Nacht hatte ihn der Wundbrand getroffen. Er lag kraftlos und schwitzend auf seinem Strohlager und war völlig von Sinnen. Sprechen konnte er ohnehin nicht mehr, aber beim kehligen Lallen, das Jakob seinem eingefallenen Leib abrang, lief eine Gänsehaut über Bastians Körper. Er hatte den Sohn des ermordeten Schmiedes an diesem Morgen eigentlich zu Reinhard Nolden führen wollen. Eine Gegenüberstellung hätte gezeigt, ob es der Bruderälteste gewesen war, der Jakob so brutal verstümmelt hatte. Aber das konnte er nun getrost vergessen.
So wie Josef Hesemann den von Wahnvorstellungen geschüttelten Körper des Jungen ansah, würde er den morgigen Tag nicht mehr überleben. Der Wundbrand fraß sich wie eine Horde hungriger Insekten in den Körper und hörte erst auf, wenn kein Leben mehr übrig war. Bastian hatte schon viele Männer am Fieber sterben sehen, er kannte die Symptome und wusste, ab welchem Zeitpunkt es kein Zurück mehr gab.
»Wir können sein Leiden lindern, aber ich kann ihn nicht mehr zu den Lebenden zurückholen.« Der Arzt warf ein Leinentuch in kaltes Wasser und presste es anschließend mit beiden Händen aus. Vorsichtig
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