Kalter Zwilling
einem Papierkorb unter dem Schreibtisch befanden, wirkte der Raum unpersönlich und kühl.
»Glaubt ihr, dass Helmhold unser Mann ist?«, fragte Oliver und deutete mit dem Finger auf ein Tablett mit Skalpellen in allen erdenklichen Größen.
Petra Ludwig wiegte den Kopf hin und her. »Ich wäre mir sicher, wenn er weggelaufen wäre. Aber dass er am Tatort stehen bleibt und darauf wartet, dass wir eintreffen und ihn verhaften, finde ich merkwürdig.«
»Wusste er denn, dass die Nachbarin uns verständigt hat? Oder haben wir ihn überrascht?«, fragte Klaus, während er unablässig Fotos schoss.
Oliver zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe ihn sofort verhaftet und ihm Handschellen angelegt.«
Petra Ludwig zog einen roten Draht mit einer Pinzette vom Schreibtisch hoch. Das Ende des Drahtes war nicht isoliert. »Schaut euch das mal an. Er hat den Mäusen Elektroschocks verpasst.«
Oliver fuhren zwei Gedanken durch den Kopf. Macht und Kontrolle! Das waren die Hauptantriebsfedern eines Psychopathen. Ganz deutlich sah er Emilys Reportage vor sich, in der sie psychopathische Serienkiller dargestellt hatte. Es gab da einen ehemaligen Direktor einer Versicherung, der vor ein paar Jahren monatelang durch die Presse ging. Er hatte immer wieder Frauen gefangengenommen, gefoltert und erst zu einem denkbar späten Zeitpunkt ermordet. Erst als keine Gegenwehr mehr zu spüren war, verließ ihn die Lust am Quälen. Er tötete sein Opfer und suchte sich ein Neues.
»Ich denke, dass Kevin Helmhold unser Mann sein könnte. Seht euch nur diese Schweinerei hier an!«
Olivers Handy klingelte.
»Ich habe die Liste mit den durchgeführten künstlichen Befruchtungen vor zwanzig bis dreißig Jahren.« Oliver atmete tief ein und lauschte angespannt. »Kevin Helmhold steht darauf. Wollen Sie die komplette Liste sehen?«
»Unbedingt.« Oliver legte auf und genoss die neugierigen Blicke von Klaus und Petra, ehe er fortfuhr: »Kevin Helmhold wurde mit Hilfe künstlicher Befruchtung an der Universität zu Köln gezeugt.«
Petra Ludwig zupfte mit äußerster Vorsicht ein braunes Kopfhaar vom Kopfkissen und steckte es in eine Plastiktüte. »Vielleicht gab es eine Verwechslung.« Ihr Gesicht lief bei diesen Gedanken rot an.
»Dann hätten wir ein Tatmotiv.«
»Rache!«, ergänzte Klaus, der das Fotografieren unterbrochen hatte.
...
Bettina Winterfeld rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Vor ihr saß Professor Morgenstern und nippte an einer Tasse Tee. Obwohl es helllichter Tag war, sah Bettina die nächtliche Szene noch vor ihrem geistigen Auge. Ihr Blick suchte den Schreibtisch nach einem Messer oder Blutspuren ab, doch vergebens. Nichts deutete auf die gruselige Szene hin, deren Zeuge sie geworden war. Der Professor selbst wirkte ebenfalls unverändert. Sein weißes Hemd saß tadellos und war frisch gebügelt. Seine Augen blickten freundlich und offen. Bettina kam sich fast töricht vor. Stand sie kurz davor, verrückt zu werden, und hatte sich alles nur eingebildet?
Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte ihn gesehen. Nachts, mit freiem Oberkörper, fluchend in diesem Büro. Blut lief über seine nackte Haut, während er mit einem Messer an sich herumhantierte.
»Sind Sie nicht einverstanden?«
Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Wie bitte?«
»Nun«, Professor Morgenstern sprach mit tiefer Stimme, »Sie haben gerade mit dem Kopf geschüttelt. Ist alles in Ordnung?« Seine blauen Augen sahen sie prüfend an. Bettina spürte, wie eine Hitzewelle durch ihren Körper ging. »Oh, nein. Alles in Ordnung. Kein Problem, ich kann die Aufgabe gerne übernehmen.«
Professor Morgenstern hatte sie gebeten, die Patientenakten zu überprüfen. Psychiatrische Gutachten mussten in regelmäßigen Zyklen erneuert werden. Damit kein Patient vergessen wurde, mussten die Akten einmal im Jahr auf ihre Vollständigkeit hin überprüft werden.
Plötzlich zog er die Schublade auf und holte eine Münze hervor. Er erklärte ihr, auf welche Besonderheiten sie bei der Aktendurchsicht achten musste, und rollte dabei die Münze versonnen auf dem Schreibtisch hin und her. Das metallische Geräusch verursachte ein Stechen in Bettinas Kopf. Wie hypnotisiert starrte sie die leuchtende Goldmünze an, in der sich mit jeder Bewegung das Herbstlicht reflektierte. Plötzlich erkannte sie die Münze und sprang auf.
»Woher haben Sie diese Münze?«
Professor Morgenstern schlug erschrocken mit der flachen Hand auf den
Weitere Kostenlose Bücher