Kalter Zwilling
amerikanischen Kollegen ein ganzes Jahr dafür benötigt?«, fragte Steuermark kopfschüttelnd.
»Es war reiner Zufall. In einem ganz anderen Fall wurde eine Massenspeichelprobe von allen männlichen Bewohnern eines bestimmten Wohnviertels genommen. Die Polizei wollte eigentlich einen Sexualtäter wegen Kindesmissbrauchs überführen, aber stattdessen hatten sie einen Treffer mit den am Tatort der ermordeten Prostituierten sichergestellten DNA-Spuren.« Petra Ludwig holte Luft. Steuermark blieb stehen und sah sie an.
»Haben Sie Kevin Helmhold verhört?«
Sie nickte. »Ja, aber er beharrt auf seiner Unschuld und das, obwohl wir Faserspuren seiner Kleidung in dem Lüftungsschacht über der Toilette des Vorlesungsraumes gefunden haben.«
Klaus schnitt Petra hastig das Wort ab und fügte hinzu: »Angeblich hat er den Lüftungsschacht benutzt, um sich aus langweiligen Vorlesungen hinauszuschleichen. Wir haben das überprüft und nachvollzogen. Es könnte tatsächlich die Wahrheit sein. Zumindest führt der Lüftungsschacht nicht nur in das Büro des ermordeten Professors, sondern auch zu einer Öffnung in der Außenwand. Er war nicht der einzige Student, der diese Methode angewandt hat. Dies belegen weitere Faserspuren und die Aussagen diverser Mitstudenten.«
Oliver holte eine Liste aus seiner Akte hervor und drückte sie Steuermark in die Hand.
»Auf dieser Liste stehen alle Kinder, die mit Hilfe von künstlicher Befruchtung in der Universitätsklinik zu Köln auf die Welt kamen. Alle Elternpaare wurden von Professor Neuhaus und dem Biologen Hans-Peter Mundscheit behandelt, die Kinder sind heute zwischen 20 und 30 Jahre alt. Kevin Helmhold ist eines von ihnen.«
Hans Steuermark runzelte die Stirn. »Nun, ein Tatmotiv kann ich aus dieser Tatsache noch nicht ableiten. Ist Helmhold streng religiös und hat damit Einwände gegen diese Form der medizinischen Behandlung?«
»Das ist uns nicht bekannt und er streitet es ab. Ich kann mir im Augenblick nicht erklären, warum er die Menschen, die an seiner Zeugung beteiligt waren, umgebracht haben soll.«
Ein Klopfen an der Bürotür unterbrach das Gespräch. Mit schüchternem Lächeln trat Steuermarks Sekretärin ein.
»Hier sind die Patientenakten, die Sie angefordert haben.«
Sie drückte Oliver einen Stapel Papier in die Hand und verließ das Büro. Oliver atmete tief ein. Die Analyse dieser Akten würde einige Stunden in Anspruch nehmen. Hoffentlich konnte er aus den Fruchtbarkeitsbehandlungen neue Erkenntnisse ziehen. Mit einem lauten Seufzer erhob er sich und verließ Steuermarks Büro, um sich sofort an die Arbeit zu machen.
...
Bettina Winterfeld wachte schweißgebadet auf. In letzter Zeit wurde sie immer häufiger von Albträumen geplagt. Die Vergangenheit ließ sie einfach nicht mehr los, obwohl sie sich vollkommen sicher war, alles richtig gemacht zu haben. Ihre Tochter war wohlauf. Aus Anna war eine gutherzige, weltoffene junge Frau geworden, auf die sie stolz sein konnte. Doch das dunkle Geheimnis, welches seit Generationen auf ihrer Familie lastete, forderte seinen Tribut. Die Albträume zermürbten Bettina systematisch und nagten an ihrem seelischen Gleichgewicht.
Sie drehte den Kopf zur Seite und öffnete die Augen nur so weit, dass sie die Uhrzeit auf dem Radiowecker erkennen konnte. Fünf Uhr morgens. Sie konnte locker noch zwei Stunden schlafen. Eine Haarsträhne fiel ihr in die Stirn und kitzelte sie an der Nasenspitze. Bettina wollte sie mit einer schnellen Handbewegung wegwischen, doch es ging nicht. Verwirrt versuchte sie erneut die Hand zu heben. Vergebens. Bettina bewegte die andere Hand. Das gleiche Ergebnis.
Panik wallte in ihr auf. Sie strampelte mit den Beinen, doch auch diese waren fest fixiert und hatten keinerlei Bewegungsspielraum. Ihr Herz hämmerte wild und Bettina versuchte verzweifelt, sich loszureißen. Sie lag gefesselt in ihrem eigenen Bett. Ein lauter Schrei drang aus ihrer Kehle.
»Hilfe! Helft mir!«
Im Bruchteil einer Sekunde legte sich eine Hand auf ihren Mund und unterdrückte den Schrei. Die Hand roch ekelhaft nach Gummi. Bettina riss die Augen auf und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. In ihrem Schlafzimmer war ein männliches Wesen. Sie konnte es am Geruch erkennen. Mit aller Kraft wehrte sie sich und zerrte an ihren Fesseln. Vergebens. Dieser Mistkerl hatte sie so fest am Bett fixiert, dass sie sich kaum mehr als einen Zentimeter bewegen konnte. Die Angst kroch durch ihre Blutbahnen und
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