Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman
davongeflogen ist? Er könnte inzwischen in Amsterdam oder Hongkong sein.«
Am frühen Abend des zweiten Tages benannte Channel Three O’Donnell als »möglichen wichtigen Zeugen« im Zusammenhang mit der Mordserie. Die Meldung machte Schule, und am späten Abend zeigte CNN O’Donnells Foto alle fünfzehn Minuten.
Neil Mitford, der politische Chefberater der Gouverneurs, rief Lucas am Nachmittag des zweiten Tages an und sagte: »Wir hatten vorhin eine Pressekonferenz zum Thema ›Kompromisse beim staatlichen Hilfsfonds für die Städte‹. Jemand fragte, ob wir nicht die Zahl der Angestellten an staatlichen Kliniken reduzieren sollten, da wir dort ja offensichtlich Psychopathen beschäftigen würden.«
»Scheiße. Nicht mal Fernsehreporter können so dämlich sein!«
»Natürlich nicht. Sie wollten nur ein wenig an der magischen Cellosaite des Gouverneurs zupfen und schauen, ob ein Misston rauskommt. Aber immerhin hat das zu einer kleinen Blutdruckerhöhung bei uns geführt. Also bitte, wenn’s Ihnen in den Kram passt - warum machen Sie nicht einfach voran und fassen diesen Killer und sorgen damit dafür, dass er uns nicht mehr im Magen liegt?«
»Warum übernehmen Sie das nicht?«, schlug Lucas vor. »Die Überschrift würde lauten: DER GROSSE ZUCHT-MEISTER DES STAATES MINNESOTA FASST FOLTERKILLER.«
»Ich mache Ihnen doch keine Vorwürfe«, erwiderte Mitford sanft. »Ich will nur sagen: Falls Sie nichts Besseres zu tun haben, fassen Sie den Mörder.«
»Sie sollten nicht so geschwollen daherreden, wenn Sie jemandem einen Vorwurf machen wollen«, knurrte Lucas.
Noch am ersten Tag kam Elle, nachdem sie ihr Sommerseminar hatte sausen lassen, am frühen Morgen in Lucas’ Büro und arbeitete sich durch O’Donnells Akte. Als sie fertig war, sagte sie zu Lucas: »Ich würde gern die Angestellten in St. John’s zu ihm befragen. Wenn möglich, auch seine Familienangehörigen, soweit sie in Reichweite sind.«
»Wir bringen dich nach St. John’s, gleich morgen. Ich muss noch prüfen, was sich in Bezug auf Familienangehörige tun lässt. Was meinst du denn bis jetzt zu ihm?«
»O’Donnell besitzt die Planungsfähigkeit für so etwas. An der Universität hatte er vom ersten Semester bis zur Approbation stets Bestnoten. Dazu braucht man nicht nur Intelligenz, sondern auch einen ausgeprägten Willen. Wenn er irgendwie aus dem Gleis geraten ist, kommt er als Täter in Frage. Er ist das, was ich erwartet habe, bis auf … Er scheint sehr beliebt und respektiert zu sein. Das wäre nicht typisch. Typisch für Menschen mit dieser Art von Problemen ist, dass sie sozial unangepasste Verhaltensweisen zeigen, und das schlägt sich in ihren Lebensläufen nieder.«
»Okay. Freunde und Familienangehörige sollten uns was dazu sagen können. Ich versuche, ein paar von ihnen zusammenzutrommeln.«
Sowohl das Koordinierungsbüro als auch der Sicherheitsdienst der Klinik hatten telefonisch Verbindung zu O’Donnells Eltern aufgenommen und sich erkundigt, ob sie noch engere Verbindungen zu ihrem Sohn hätten. Die Eltern gerieten in helle Aufregung, wussten nicht, was da vor sich ging - sie gewannen den Eindruck, ihr Sohn könnte ein Opfer des Killers geworden sein. Sie waren bereit, mit Elle in St. John’s zu sprechen.
Am Morgen des zweiten Tages fuhr Elle in Begleitung von Sloan nach St. John’s, damit sie Klinikangestellte und O’Donnells Eltern befragen konnte. Nach der Rückkehr stürmte Sloan in Lucas’ Büro und sagte: »Du Mistkerl, du bist vorher schon mit ihr gefahren und deshalb nicht mitgekommen!«
»Komm, Mann, wenn wir zu dritt gewesen wären, hätte ich das Lenkrad natürlich nicht aus der Hand gegeben.« Aber Lucas grinste, denn er wusste, was Sloan meinte.
»Manchmal hat sie die Kontrolle verloren und ist doch tatsächlich schneller als fünfundvierzig gefahren«, sagte Sloan. »Ich war nahe an einem Schreikrampf, als wir endlich ankamen. Jetzt weiß ich, wie Chase sich in der Isolationszelle fühlen muss.«
»Du hättest ihr einen Fahrerwechsel vorschlagen sollen«, meinte Lucas.
»Hab ich ja. Mehrmals. Aber sie sagte, sie brauche Fahrpraxis. Die Fahrt nach St. John’s war ein Alptraum, und die Rückfahrt war …« Ihm fehlten die Worte, und er ruderte hilflos mit den Armen.
»Und wo ist sie jetzt?«, fragte Lucas.
»Sie bog zu ›Ladys‹ ab. Wenn sie so Pipi macht, wie sie Auto fährt, können wir noch eine Ewigkeit auf sie warten.«
Elle sagte Folgendes: »Ich habe mit den
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