Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman
Eltern gesprochen, ich habe mit Freunden gesprochen. Bei Serienmördern ist eine interessante Hintergrundentwicklung zu beobachten. Sofern sie langjährige Freunde oder noch Eltern haben, sind diese Leute im Allgemeinen nicht sonderlich überrascht, dass der Freund beziehungsweise der Sohn wegen solcher Untaten gefasst und angeklagt wird. Sie wissen, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Es gibt bei Serienmördern eine seltsame Neigung zur Gewalt in ihrer Jugend - gegen Insekten, gegen Haustiere, gegen andere Kinder; und sie sind häufig
selbst Opfer von Gewalt, normalerweise körperlicher, manchmal aber auch rein psychischer Art. Sie zeigen oft ein abnormes Interesse an Feuer und allgemeinen Vorstellungen von Vernichtung. Ich meine nicht das Interesse, das Jugendliche heutzutage an brutalen Computerspielen haben, sondern die Faszination, die von absolut grotesken Elementen des Todes und der Zerstückelung getöteter Lebewesen ausgeht.«
»Hmm. Und …?«
»Nichts dieser Art ist im Lebenslauf von O’Donnell zu finden, Lucas, und ich komme zu der Folgerung, dass er nicht unser Mann ist.«
»Dann ist er tot«, sagte Lucas.
»Das kann durchaus sein.«
»Sag das nicht, Elle«, knurrte Lucas. Wieder nicht der wahre Mörder …? Er gab die Hoffnung nicht auf: »Ein Gehirntumor oder so was … Erinnerst du dich an Whitman, an den Texas Tower?«
»Ja.«
»Es gab sogar einen Song über ihn, über den Tumor in seinem Gehirn«, sagte Lucas. »Irgend so was.«
»Ja. Es gab diesen Song, von einem Mann namens Richard Friedman, falls ich mich richtig erinnere. Und Whitman hatte tatsächlich einen Gehirntumor, wobei man jedoch nicht weiß, ob diese Tatsache für sein Verhalten ausschlaggebend war.«
»Wenn O’Donnell nun einen Tumor hat?«
»Die Möglichkeit besteht - wenn man es mit dem Gehirn zu tun hat, ist fast alles möglich. Aber wenn ein Tumor im Spiel sein sollte, würden sich sowohl körperliche Symptome als auch psychische Ausfallerscheinungen zeigen, und nichts dieser Art ist von den Eltern und Freunden und den Mitarbeitern bemerkt worden.«
»Welche Erklärung hast du dafür, dass er am Tag seines Verschwindens sein Bankkonto leer geräumt hat?«
Elle lächelte und schüttelte den Kopf: »Für solche Erklärungen bin ich nicht zuständig. Das überlasse ich dir.«
Sloan, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte, schaltete sich ein: »Nordwall hat mehrere Deputys darauf angesetzt herauszufinden, wo O’Donnell sich in der Nacht von Petersons Verschwinden aufhielt. Die Aktion lief ins Leere. Sie konnten auch nicht feststellen, wo er in den Nächten der Morde an Larson und den Rices gewesen ist, aber das mag nicht viel bedeuten. Er wohnt weit draußen im Wald, und die Morde an Larson und den Rices liegen so weit zurück, dass niemand mehr gesichert weiß, ob er ihn gesehen hat oder nicht.«
»Wir sollten auch die Sache mit dem Schichtdienst erwähnen«, sagte Elle.
»Ja, der Schichtdienst«, sagte Sloan. »Er hatte normalerweise die Schicht von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags, aber er kam immer sehr früh in die Klinik, ungefähr um sechs, um rechtzeitig von der Nachtschicht übernehmen zu können. Er musste also morgens etwa um fünf Uhr aufstehen, und wenn er acht Stunden Schlaf haben wollte, musste er um neun Uhr abends ins Bett gehen. Also … Niemand würde erwarten, ihn spät abends an den Mordtagen zu sehen, aber es wäre völlig normal, wenn er im Bett liegen würde. Absolut begründet.«
»Gott … steh mir bei«, sagte Lucas.
»Hier noch eine Frage«, sagte Sloan. »O’Donnell kam morgens nicht zur Arbeit - also war er vermutlich (a) auf dem Weg nach Chicago, vielleicht auch schon dort, oder (b) tot. Angenommen, er entschloss sich bereits am Tag zuvor nach der Arbeit zur Flucht und flog nach Chicago, etwa um sieben Uhr abends - dann wäre er ungefähr um neun Uhr dort angekommen. Das würde heißen, dass er Ignace erst mehr als
vierundzwanzig Stunden später angerufen hat. Was hat er während dieser Zeit gemacht?«
»Ehm … Vorbereitungen getroffen«, sagte Lucas. Elle hatte sich bereits verabschiedet, und so fügte er hinzu: »Wie zum Teufel soll ich das wissen?«
»Ich rufe jetzt mal die Mordkommission in Chicago an und frage, ob ein besonders scheußlicher Mord bei ihnen passiert ist …«
Der Mordkommission Chicago war in der Nacht, in der O’Donnell verschwand, nur ein Mord gemeldet worden: Ein zwölfjähriger Junge namens Terence Smith hatte seinen Onkel Roger
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