Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
nicht da sind.«
»Manchmal hat man eben auch Glück«, murmelte die Kriminalbeamtin. Sie war sicher kaum über dreißig, klein, schlank, hatte kurz geschnittenes braunes Haar und wache, dunkle Augen.
»Ihr erster Fall?« Die Frage war mir so herausgerutscht, nicht eben sinnvoll, wenn ich mit ihr eine Gesprächsbasis aufbauen wollte. Aber wollte ich das überhaupt?
»Bitte«, sagte sie eisig und deutete auf die Tür, die hinter den Regalwänden verborgen war.
Ich öffnete ein Glas mit Tomatensugo. Der Inhalt roch intensiv nach Süden. Das Sugo war eine Eigenmarke meines sizilianischen Großhändlers im Veneto. Ich sah seine Tanten und Cousinen vor mir, wie sie mit schwarzen Kopftüchern in der zu heißen halbdunklen Küche stehen, durch die halb geschlossenen Balken dringen Bündel gleißend-heller südlicher Sonnenstrahlen herein, die Frauen pürieren Tomaten zu einer blutroten, dicklichen Masse. Es war viel besser, dieses Sugo zu verwenden, als sich an den blassen, geschmacklosen Wintertomaten zu versuchen.
Die Blutlache des toten Regionaldirektors war auf dem Boden des Lagers noch deutlich zu sehen gewesen, kein roter, sondern ein dunkelbrauner bis schwarzer Fleck am Beton. Er hatte sich Schlüssel machen lassen, um auch außerhalb der Geschäftszeiten Nachschau halten zu können. War das üblich? Wollte er besonders eifrig erscheinen? Van der Fluh hatte kaum seinen Namen gekannt. Aber in den Wiener Ultrakauf-Filialen war Heller als großer Boss aufgetreten. Ich hatte ihn nie zu Gesicht bekommen. Klein, jung, schmächtig, mit genagelten Schuhen. In den Augen der roten Karin ein »Wicht«. Aber diese Sichtweise hatte vielleicht auch etwas mit ihrer eigenen Körpergröße zu tun. Ein Glück, dass ich einiges über eins siebzig war.
Ich schwitzte klein gehackte Zwiebel und Knoblauch in Olivenöl an und fügte dann die Stückchen vom frischen Thunfisch dazu. Ein Zweig Rosmarin, ein Zweig Thymian, Lorbeerblatt, Salz, frisch gemahlener Pfeffer.
Ob Heller hinter den Cognacdieben her gewesen war? Warum hätte er das tun sollen? Wenn ich richtig verstanden hatte, dann war er so etwas wie der Personalchef der Wiener Ultrakauf-Filialen. Was ging es also ihn an, wenn etwas aus dem Lager wegkam? Das wäre wohl eher Sache des Filialleiters gewesen. Aber vielleicht wollte er sich eine besondere Belobigung der Oberbosse holen. Andererseits: Grete schien es abwegig, dass solche Diebe mit geladenen Pistolen unterwegs waren. Was wusste sie schon von Kriminalität? Vielleicht waren die Diebe Teil einer Bande? Was wusste ich schon von dieser Art von Kriminalität? Schade, dass Zuckerbrot auf Urlaub war. Bei seiner Vertreterin hatte ich mich denkbar schlecht eingeführt. Ich würde Droch fragen, wann Zuckerbrot wieder zurückkam.
Beinahe hätte ich den Thunfisch zu lange anbraten lassen, schnell goss ich das Tomantensugo darüber, gab einen Schuss Madeira dazu und rührte gut durch. Fünf Minuten, dann war die Sauce für die »bigoli con tonno« vorbereitet.
Ich würde mich erkundigen müssen, was Heller für ein Mensch gewesen war. Ärgerlich, dass ich nicht rechtzeitig mit ihm einen Termin vereinbart hatte. Fast überall hatte ich nachgefragt, selbst mit van der Fluh geredet, nur an Heller hatte ich nicht gedacht.
Immerhin, jetzt hatte ich meine Story über einen Supermarkt – wenn auch anders als gedacht. Ich hatte noch im Ultrakauf meinen Chefredakteur angerufen, er war in spontanes Gelächter ausgebrochen und hatte gehöhnt, dass Mira Valensky wohl immer bekomme, was sie wolle, und wenn dafür ein Mord geschehen müsse. Ausnahmsweise hatte ich Verständnis für seine Meinung.
Morgen würde sich entscheiden, wie viel Platz im nächsten Heft ich für die Reportage bekommen würde. Ich war gespannt, ob mein Termin mit van der Fluh halten würde. Freitag war spät, aber ich konnte sein Statement zum Mordfall noch einbauen. Die Zusage hatte ich für eine klassische Homestory, ich sollte darüber berichten, wie der Generaldirektor der Kauf-Gruppe lebte, welche Möbel er bevorzugte, was er las, welche Hobbys seine Frau hatte oder ob sie gar berufstätig war. Er musste mir die Fragen über Heller nicht beantworten. Aber vielleicht tat er es freiwillig.
Ich sah auf die Uhr. Ich mag mich beim Kochen nicht hetzen, aber es war besser, meine Gedanken nicht mehr allzu weit abschweifen zu lassen. In einer Stunde würde Oskar kommen. Natürlich hatte er keinerlei Recht darauf, dass das Abendessen pünktlich auf dem Tisch stand. Eine
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