Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
wieder einmal ins Stiegenhaus entkam. Ich lief, beflügelt von der Aussicht auf ein venetisches Nachtmahl, die Stufen hinunter.
Auf dem Ultrakauf-Parkplatz standen zwei Polizeiwagen. Mein Herz machte einen kleinen, aufgeregten Sprung. Ich mag es nicht, wenn ich merke, wie mein Herz schlägt. War Karin, genauso wie Grete es prophezeit hatte, wieder etwas zugestoßen? Dann erst machte ich mir klar, dass die rote Karin noch im Krankenstand war. Rasch einen Einkaufswagen, hinein in den Ultrakauf. Drinnen war alles wie immer. Beinahe. Denn da und dort sah ich Verkäuferinnen und Regalauffüllerinnen aufgeregt zusammenstehen und tuscheln. Die Kundinnen schienen davon nichts wahrzunehmen, zu sehr waren sie darauf konzentriert, das Beste zum günstigsten Preis zu ergattern, nichts zu vergessen, rasch weiterzukommen, ins Büro, in die Küche, ins Fitnesscenter. Ich suchte nach einem bekannten Gesicht. Grete kam, ihre Kassenlade unter dem Arm, direkt auf mich zu. Ihre Augen waren vor Aufregung aufgerissen, die gelben Haare standen ihr unvorteilhafter denn je vom Gesicht ab.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Heller. Erschossen. Er ist im Lager gelegen, nicht weit von dort, wo der Cognacstapel umgekippt ist.«
»Hast du ihn gesehen?«
»Ja, ich war bei den Ersten. Der Filialleiter hat aufgesperrt, und die Leute vom Lager sind hineingegangen. Ich hätte nicht so früh da sein brauchen, aber das hat sich so ergeben. Mein Mann hat Nachtdienst gehabt, und da koche ich ihm um sechs etwas, aber er hat so schlechte Laune gehabt, dass ich dann gleich gegangen bin. Weil ich auch immer zurückreden muss. Jedenfalls schreien die Lagerarbeiter plötzlich nach dem Feinfurter, da sind wir natürlich gleich alle hinübergelaufen. Und da ist er dann gelegen: auf dem Boden, zwischen den Regalen, eine Hand am Herz und rund um ihn eine große Blutlache. Feinfurter ist sofort schlecht geworden, er ist hinausgelaufen und hat dann auch die Polizei verständigt. Aber ich bin an Blut gewöhnt, wir haben früher bei uns am Hof Schweine abgestochen. Also hab ich etwas genauer hingeschaut. Der Heller hat einen ganz erstaunten Gesichtsausdruck gehabt, so als könnte er gar nicht glauben, was ihm da passiert ist.«
»Hast du sonst etwas gesehen?«
»Nein, nichts. Nur sein Schlüsselbund ist neben ihm gelegen. Seit einiger Zeit hat er Schlüssel für alle Filialen, damit er immer und unerwartet nachschauen kann, hat er gesagt. Die rote Karin ist darüber sehr wütend gewesen, sie hat nicht eingesehen, was er, wenn das Geschäft geschlossen ist, herumspionieren muss.«
»Weiß man, wann der Mord geschehen ist?«
»Die Polizei ist gekommen und hat alles abgeriegelt. Und dann haben sie ihn abtransportiert. Jetzt wird er wohl untersucht, gerichtsmedizinisch. Wie man das aus den Filmen kennt.«
»Weißt du, wann der Supermarkt gestern abgesperrt worden ist?«
»Keine Ahnung, momentan hab ich ja Frühschicht. Es wird wie normal gewesen sein. So zwischen halb acht und acht.«
»Und dann kann niemand mehr rein?«
»Nein, niemand.«
»Heller hat offenbar die Alarmanlage ausgeschaltet. Aber warum ist er gekommen?«
Grete sah mich an und schüttelte den Kopf. »Eine Alarmanlage haben wir nicht, das ist ihnen zu teuer und auch zu mühselig. Wahrscheinlich hat Heller einfach herumschnüffeln wollen, aber dann war da noch wer …«
»Vielleicht die, die den Cognac gestohlen haben.«
»Danach haben die von der Polizei auch schon gefragt. Aber ich weiß nicht. Cognac zu klauen und jemanden umzubringen, das sind schon zwei Paar Schuhe. Wer rennt schon mit einer Pistole herum, wenn er ein paar Flaschen Cognac abzweigen will?«
»Das klingt so, als hättest du eine Vermutung.«
Sie klopfte nervös mit der linken Hand auf ihre Kasse. »Es wird sein wie immer, es war schon wer von der Belegschaft oder einer von den Zulieferern. Wir haben viele da, die nur stundenweise arbeiten, alle kenne ich gar nicht. Aber einen Mord …«
Ich fingerte nach meiner Brieftasche und zog meinen Journalistinnenausweis heraus. »Die Kriminalpolizei, ich muss mit ihr reden. Bitte hör dich um, ich bin jetzt sozusagen dienstlich hier.«
Grete erschrak. »Dienstlich darf ich mit dir nicht reden.«
»Sollst du auch nicht. Wir reden privat. Keine Sorge, niemand erfährt von mir, mit wem ich geredet habe.«
Grete sah sich besorgt um. Ich kritzelte meine Telefonnummern auf die Rückseite einer alten Rechnung und gab sie ihr. Sie nickte.
»Wo ist eigentlich der Filialleiter?«, fragte
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