Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
ich mir neue Marketingideen ausdachte, statt zu klären, was mit Karin geschehen war.
Ich ließ Wasser mit etwas Weißwein aufkochen, blanchierte Radicchio-Trevigiano-Blätter und ließ sie in einem Sieb abtropfen. Laut Filialleiter Feinfurter hatte sich Karin in der letzten Zeit nicht mehr beschwert. Konnte ich ihm glauben? Die Sache war noch vor Hellers Tod gelaufen. War Heller ermordet worden, weil er hinter Manipulationen beim Fleisch gekommen war? Ist Karin verschleppt worden, weil sie eins und eins zusammengezählt und auf eigene Faust nachgeforscht hatte?
Ich sollte die ganze Sache vergessen. Irgendwann einmal würde ich im »Magazin« nicht mehr mit einem blauen Auge davonkommen. Blieb nur zu hoffen, dass sich van der Fluh wirklich meldete und dann auch noch Anweisung gab, die Anzeigen wie geplant zu schalten. Ein langer Brief an das Christkind. Ich seufzte. Vielleicht wusste Jitka, ob Heller irgendeine Frage nach der Fleischqualität gestellt hatte.
Ein Dessert aus Fleisch kannte ich nicht. Vor einiger Zeit hatte ich ein großartiges Buch gelesen. Es trug den Titel »Beef«, handelte von hormonverseuchtem Rindfleisch in den USA und einer witzigen japanischstämmigen Journalistin, die hinter den Skandal kommt. Unsere Lebensmittelgesetze waren viel strenger. Auch die letzte BSE-Krise war schon einige Zeit her. Jedenfalls hatte sich im Buch das Rezept einer fleischbegeisterten amerikanischen Hausfrau für einen süßlichen Fleischpudding gefunden. Es schüttelte mich allein beim Gedanken. Schlimmer war nur mehr das Rezept für Rindfleisch in Coca-Cola gewesen, aber das Ziel der Autorin war es wohl gewesen, ihr Publikum über den ganz normalen amerikanischen Fleischwahnsinn schaudern zu machen.
Ich hatte noch ein süditalienisches Orangensorbet im Gefrierschrank, das war nach so viel Fleisch genau das Richtige. Ich wartete, bis sich der Druckkochtopf öffnen ließ, nahm den Tafelspitz heraus und schnitt ihn mit meinem schärfsten Messer in möglichst dünne Scheiben. Über die Fleischscheiben schichtete ich die in Prosecco gedünsteten Zwiebelringe und wickelte die Platte in Klarsichtfolie. Am Balkon schlug mir kalte, klare Winterluft entgegen. Das Thermometer zeigte exakt null Grad. Ich atmete tief durch und stellte das »manzo in saor« auf den Plastiksessel. Je länger es durchziehen und auskühlen konnte, desto besser.
Summend räumte ich alles, was sich an Post, Zeitungen und anderem Kleinmist auf meinem großen Esstisch angesammelt hatte, auf den Schreibtisch um, gab zwei neue Kerzen in die Kerzenhalter, deckte den Holztisch mit weißen Stoffservietten und einer eindrucksvollen Menge an Besteck. Es blieb sogar noch Zeit, eine Menükarte zu schreiben. Als Titel wählte ich: »Variationen von komischem Fleisch«.
Als ich zwei Stunden später beschwipst und beflügelt auf einem geölten Blech mariniertes Schwein, Radicchio und mit Trüffelpaste verrührten Frischkäse übereinander schichtete und dann für einige Minuten ins ganz heiße Rohr schob, musste Oskar unbemerkt ins Vorzimmer gegangen sein und etwas aus seiner Tasche geholt haben. Ich kam zurück, um einen Schluck Merlot zu nehmen. Auf meinem Platz lag eine kleine Schachtel. Oskar strahlte über das ganze Gesicht, die Kerzen flackerten, Gismo lag zusammengekringelt auf dem Teppich und gab vor lauter Wohlbehagen über die auch für sie reichlich ausgefallene Mahlzeit leise Grunzlaute von sich. Ich näherte mich der kleinen Schachtel so vorsichtig, als könne sie explodieren.
»Mach sie auf«, sagte Oskar und strahlte weiter.
Ich klappte das elegante dunkelblaue Behältnis auf. In weißen Seidenstoff gebettet lag ein Ring aus einem breiten weißgoldenen Reif mit drei großen, einfach geschliffenen roten Steinen. Ich nahm ihn, steckte ihn an den Finger. Er passte. Ein Geschenk, einfach so, knapp zwei Wochen vor Weihnachten? Ein Ring, der mehr symbolisieren sollte als Zuneigung oder – warum immer so vorsichtig mit dem Wort? – Liebe? Ich sah Oskar an. Er stand langsam auf, kam zu mir herüber, nahm meine Hand und sagte mit einer Stimme, die wenig mit seiner mächtigen Anwaltsstimme gemeinsam hatte: »Ich will dich nicht drängen, ich will nur, dass du weißt, dass ich immer mit dir sein will.«
Ich küsste ihn beinahe feierlich, er küsste mich wieder, wir hörten erst damit auf, als es aus der Küche gar nicht gut roch. Die »sfornati« waren nicht überbacken, sondern verbrannt. Aber was spielte das schon für eine Rolle? Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher