Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
jeweils auch eine Telefonnummer dabei. Vielleicht konnte ich klären, ob das Personal der Fleischabteilungen in den letzten Monaten gewechselt hatte. Filialen, in denen das der Fall war, würde ich mir besonders genau ansehen.
Wenig später tippte ich die erste Nummer ein und verlangte den Filialleiter.
Ich stellte mich vor: »Gasser hier von der Fleischer-Innung.« Gasser war mir eingefallen, weil auf den Tischen des Espressos offenbar selten verwendete, aber dennoch schmuddelige Bierdeckel mit der Reklame für Gösser Bier lagen. »Wir machen eine Umfrage über die Fluktuation von Fleischern. Können Sie mir bitte sagen, ob in Ihrem Geschäft im letzten Jahr beim qualifizierten Fleischpersonal ein Wechsel stattgefunden hat?«
Der Hinweis auf eine quasioffizielle Stelle reichte aus, um ohne langes Nachfragen Antwort zu bekommen. Nein, der Fleischermeister arbeite bereits seit mehreren Jahren im Betrieb, lediglich beim ungelernten Personal habe es einige Veränderungen gegeben. Ich machte mir Notizen. Als ich bei der siebenten Filiale angekommen war, brachte mir die Kellnerin eine dampfende Steinguttasse mit Glühwein. Ich schnupperte. Er duftete hervorragend und so intensiv, dass er die muffige Geruchskombination des Espressos vergessen ließ.
»Es hat so lange gedauert, weil ich ihn nach einem Spezialrezept mache«, flüsterte mir die Kellnerin zu, während ich darauf wartete, dass man mir den nächsten Filialleiter an das Telefon rief.
»Riecht großartig«, flüsterte ich zurück.
»Meine Spezialität.« Hätte ich das bloß schon bei meinem letzten Besuch gewusst.
Als ich die Nummer der fünfzehnten Filiale gewählt hatte, kamen Vesna und Grete herein und brachten einen Schwall kalte, abgasgeschwängerte Luft mit. Ich winkte sie zu meinem Tisch und telefonierte weiter.
Die beiden hängten ihre Mäntel an den Kleiderständer, rieben sich die Hände und nahmen Platz. Wenig später orderte ich drei Becher Glühwein und berichtete: »Jetzt hab ich alle Filialen durchgerufen. In den letzten Monaten hat es bei den gelernten Kräften in der Fleischabteilung keinen Personalwechsel gegeben. In der Filiale im 13. Bezirk ist die alte Fleischerin vor einem Jahr in Pension gegangen und durch einen jungen Kollegen ersetzt worden, das scheint die letzte Veränderung zu sein. Nur bei den ungelernten Leuten in der Fleischabteilung hat es in fast allen Filialen Änderungen gegeben.«
»Das ist ganz normal, die Ungelernten wechseln andauernd«, erklärte Grete. Wieder hatte sich ein möglicher Anhaltspunkt als haltlos erwiesen. Aber wenigstens war mir durch den Glühwein warm geworden.
»Deine Chemikerin ist wirklich bereit, noch vor Weihnachten alle siebenundachtzig Proben zu analysieren?«, fragte Grete.
Wir standen in einem Chaos aus Styroporschalen, Plastiksäckchen, Verschlüssen, Aufklebern, Fleischbrettern und vor allem Fleisch. Vesna schnitt Proben ab, Grete verpackte sie und den Rest der Portionen. Ich half ihr und kategorisierte alles mithilfe meines Laptops. Gismo hatte ich, allerdings mit einer großen Portion Rindsgulaschfleisch, ins Badezimmer gesperrt. Sie wäre sonst vor Aufregung kollabiert.
Unsere Finger klebten vom Fleisch, überall, selbst auf meinem Computer, waren Blutspuren. Es sah aus, als hätten wir in der Küche einen Ochsen geschlachtet. Niemand hatte besondere Lust, etwas zu essen. Schon gar kein Fleisch.
»Die Chemikerin schuldet Oskar einen großen Gefallen. Sie sollte, ohne darüber Bescheid zu wissen, in einem großen Arzneimittelprozess Gefälligkeitsgutachten liefern. Oskar war der Anwalt des Pharmariesen, er kam hinter die Sache, hat sie gewarnt und dann den Fall niedergelegt. Ohne ihn wäre sie ihren guten Ruf schnell los gewesen.« Ich war stolz auf Oskar. Welcher Anwalt ließ sich schon einen Pharmakonzern als Klienten durch die Lappen gehen?
»Du hast eben ein besonderes Glück. Allein der wunderschöne Ring, und was der gekostet haben muss«, sagte Grete und schleppte die nächsten Fleischportionen auf den Balkon.
»Hab ich«, erwiderte ich und wusste nicht, warum mir dabei nicht ganz wohl zu Mute war. Vielleicht, weil ich mir dachte, dass so viel Glück nicht lange dauern konnte?
Grete seufzte. »Er hat Nachtdienst, da schläft er am Tag, dann mache ich ihm was zu essen, und dann geht er wieder.« »Er« war ihr Mann Hans, das wussten wir inzwischen.
»Ignoriere ihn«, riet Vesna.
»Du solltest nicht immer tun, was er von dir verlangt, vielleicht merkt er dann, was er an
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