Kaltes Fleisch. Ein Mira-Valensky-Krimi
wartete noch der Kalbslungenbraten, und ich wusste nicht, ob ich mich mehr über den Ring, über Oskars Worte oder darüber freute, dass er mir trotz allem keinen Heiratsantrag gemacht hatte. An einem Abend wie diesem hätte ich allzu leicht eine Menge lange gepflegter Überzeugungen vergessen können.
Schon am nächsten Tag wusste ich: Das Fleisch war lebensmitteltechnisch in Ordnung. Lediglich beim Gulaschfleisch hatte man ein paar Bakterien zu viel festgestellt, aber die hatten Gismo offensichtlich nicht geschadet. Insgesamt seien die Fleischproben sogar von »deutlich überdurchschnittlicher Qualität«, konstatierte die Chemikerin.
Als ich am Abend heimkam, um meine Tasche für eine Übernachtung bei Oskar zu packen, warf ich die sorgfältig aufbewahrten Verpackungen in den Müll. Nach den Weihnachtsfeiertagen würde Zuckerbrot die polizeilichen Ermittlungen übernehmen, und wenn es eine Lösung gab, würde er sie wohl finden. Vielleicht aber war es ohnehin besser, wenn Hellers Mörder nicht gefunden wurde. Konnte ja sein, dass es sich um einen im Allgemeinen recht sympathischen Menschen handelte.
Karin Frastanz blieb verschwunden. Ich drehte den Ring an meinem Finger. Ein seltsames Gefühl, ich war es nicht gewohnt, Ringe zu tragen.
Ich sah gelangweilt die Post durch. Ein Schreiben von der Geschäftsführung der Kauf-AG enthielt ein Protokoll der Think-Tank-Völlerei. Ich überflog es, viele hohle Worte und die Bitte, doch im Januar wieder mit dabei zu sein. Als ich sah, wer beim nächsten Mal aufkochen würde, wusste ich, dass ich nicht ablehnen konnte. Mein – abgesehen von Armando im Veneto – absoluter Lieblingskoch hatte sich vor einiger Zeit aus dem großen Business zurückgezogen und hatte nun, nach einer schöpferischen Pause, außerhalb von Wien ein Restaurant aufgemacht. Er war ebenso sehr Künstler wie Koch, und schon beim Gedanken an seine Kreationen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Jetzt wusste ich auch endlich, was ich Oskar zu Weihnachten schenken konnte: einen Gutschein für ein Menü in diesem Restaurant.
Ich stopfte ein paar Kleidungsstücke in meine Tasche, da kam mir das Gefühl, ich hätte im Ultrakauf-Brief etwas Wichtiges überlesen. Ich las das so genannte Protokoll noch einmal und schüttelte den Kopf. Erst als ich die Wohnung verlassen wollte, fiel mir ein, welche Sätze mich verfolgt hatten: »Unsere Filialen sind individuell gestaltet, an dieser Unverwechselbarkeit soll nach Ansicht einiger Think-Tank-Mitglieder noch intensiver gearbeitet werden. Das kann und wird aber keinesfalls im Widerspruch zum Konzept stehen, überall dasselbe hochrangige Warenangebot anzubieten, es soll bloß durch …«
Ich hatte einen großen Fehler gemacht. Ich hatte mich nur auf die Filiale in der Mayerlinggasse beschränkt. Das Fleisch kam vom Zentrallager, in alle Filialen wurde das gleiche Fleisch geliefert. Heller war Regionaldirektor gewesen. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen alle Wiener Filialen.
Ich rief Vesna an und hörte im Hintergrund zwei laut streitende Kinder.
»Sie bringen mich noch um«, fauchte Vesna, »sind so gescheit, in der Schule die Allerbesten. Aber streiten diese Trotteln, dass man eigenes Wort nicht versteht.«
»Vesna, kannst du dich in eine andere Ultrakauf-Filiale versetzen lassen?«
»Warum? Ich kann nicht, ich kann nur bis Januar bleiben, sonst verliere ich meine eigentlichen Jobs, wir haben das ausgemacht.«
Ich schluckte. Das hatte ich ganz vergessen.
»Was ist los? Erzähl, Mira Valensky!«
Ich schilderte ihr meine Überlegungen, und sie wurde ganz aufgeregt. »Man muss herausfinden, was für Feinde Heller in den anderen Filialen gehabt hat. Und: Karin hat sich gegen altes Fleisch gewehrt, gegen komisches auch. Andere vielleicht nicht. Man muss noch einmal Fleisch kaufen.«
»Über zwanzig Packungen, und das in acht oder zehn Filialen?«
»Vielleicht reichen weniger Packungen.«
Vesna hatte Recht. Das war etwas, was wir sofort angehen konnten. Gleich morgen würde ich alle Ultrakauf-Supermärkte abklappern. In der Redaktion war ohnehin schon Weihnachtsfriede ausgebrochen, die Doppelnummer für die Feiertage war so gut wie fertig, meine Reportage über die Weihnachtsgeschenke der Highsociety stand längst im Computer. Unglaublich, wie viele Promis weder etwas von materiellem Wert schenken noch geschenkt bekommen wollten. Dafür war von Zeit und Liebe die Rede. Vielleicht lebten wir doch in einer viel besseren Welt, als ich annahm. Oder aber ich
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