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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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Er
runzelte die Stirn. »Den sollten Sie mal erneuern lassen, Sir«, meinte
er. »Das Foto ist ein bisschen … äh, überholt.«
    Lapslie blickte auf den Dienstausweis in seiner Hand. Okay,
sein Haar war nicht mehr braun, und auf dem Foto war es ein bisschen
reichlicher als im wirklichen Leben, aber abgesehen von der Kragenweite
seines Hemdes fand er sich gar nicht so verändert.
    Aber wahrscheinlich war das Foto gemacht worden, als der
Polizist, der da neben seinem Wagen stand, irgendwo vergnügt auf einem
Spielplatz herumgerannt war.
    »Mir gefällt es so«, erwiderte er knapp.
    Der Polizist notierte seinen Namen und die Nummer des Wagens
auf seinem Klemmbrett, während er sprach. »Soll ich die Absperrung für
Sie öffnen?«
    »Nicht nötig. Ich lasse den Wagen hier an der Straße stehen
und gehe zu Fuß.«
    Es war nicht schwierig, den Unfallort auszumachen, er lag
gleich hinter der Kurve. Die Leute von der Spurensicherung hatten
Scheinwerfer aufgestellt, die die Szene ungeachtet des anbrechenden
Tages in hartes, erbarmungsloses Licht tauchten. Lapslie blieb stehen,
um sich einen Überblick zu verschaffen.
    Benzindunst und der Geruch von verbranntem Gummi hingen immer
noch in der Luft. Zwillingsbremsspuren verflochten sich entlang der
Fahrbahn ineinander, zeigten, wie der Wagen gebremst, geschleudert und
sich gedreht hatte wie ein wahnsinniger Autoscooter auf dem
Rummelplatz. Er konnte sich das Entsetzen des Fahrers vorstellen, wie
er das Steuer hin und her riss in der unausweichlichen Gewissheit, dass
es nichts nützen und er wahrscheinlich sterben würde. Nach den Spuren
zu urteilen, war das Auto die Landstraße entlanggerast, bevor der
Fahrer plötzlich die Kurve vor sich gesehen hatte. Was war passiert?
War er durch ein Bonbon oder durch einen Telefonanruf abgelenkt
gewesen? War er mit Abblendlicht gefahren, so dass er die Kurve erst
sah, als es zu spät war? Oder war er einfach betrunken gewesen? Das
herauszufinden, war Sache der Gerichtsmedizin, doch Lapslie konnte
nicht umhin, zu rätseln. Eben noch lebendig, im nächsten Augenblick
tot. Die Fakten konnten erklärt werden, aber der Geisteszustand des
Fahrers? Da konnte man nur Vermutungen anstellen.
    Bei einem anderen Unfall vor längerer Zeit hatte er einmal den
Fehler gemacht, zu einem Kollegen zu sagen: »Ich möchte mal wissen, was
dem Fahrer als Letztes durch den Kopf gegangen ist.« Der Mann hatte ihn
bloß verständnislos angesehen. »Die Windschutzscheibe«, hatte er
genuschelt und war weggegangen.
    Die geschmolzenen Gummispuren endeten an der Stelle, wo die
Straße einen Bogen machte. Eine Bordsteinkante markierte die Grenze, wo
der Asphalt in unebenen, von Blättern, kleinen Farnen und Buschwerk
bedeckten Boden überging. Der Wagen hatte den Bordstein offenbar
seitlich gerammt, der Aufprall hatte ihn in die Luft geschleudert und
herumgewirbelt, dieses Mal um die Längsachse, so dass er sich, als er
gegen die Bäume prallte, fast vollständig gedreht hatte. Zwei
Baumstämme waren gut drei Meter über dem Boden gesplittert. Der
Wagen – oder was davon noch übrig war – lag an ihrem
Fuß, zusammengeknüllt wie ein weggeworfenes Schokoladenpapier.
    Gut fünfzig Meter weiter hatte man auf der Straße ein weiteres
Sperrgitter aufgestellt. Dort parkte ein Krankenwagen, daneben ein
Peugeot 406 der Polizei – in dem blaugelben Karomuster
lackiert, das überall im Land bei der Polizei spaßeshalber das
Battenbergfarbdesign genannt wurde –, ein staubiger Ford
Mondeo und ein Lieferwagen, der vermutlich das Spurensicherungsteam zur
Unfallstelle gebracht hatte. Zwei Sanitäter unterhielten sich mit einem
Streifenpolizisten. Ihre lockere Haltung deutete darauf hin, dass sie
ihre Arbeit erledigt hatten, wenn es überhaupt etwas für sie zu tun
gegeben hatte, außer den Tod des Fahrers am Unfallort festzustellen.
    Dicht neben der Straße war ein großes Plastikzelt aufgestellt
worden, wenige Schritte von den Überresten des Wagens entfernt. Die
Scheinwerfer dahinter ließen es förmlich strahlen. Groteske Schatten
der Menschen in seinem Innern wurden an die Wand geworfen: Gebeugte
Figuren mit riesigen Händen bewegten sich in einem skurrilen rituellen
Tanz aufeinander zu und voneinander weg.
    Es war alles so vertraut, und nach seiner Auszeit von der
Arbeit doch so merkwürdig, so fremd.
    Er zog sein Handy aus der Jackentasche und wählte nach kurzem
Nachdenken eine Nummer, von der er einen Augenblick lang nicht glaubte,
dass er sich noch an sie

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