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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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hinunter. Von dort,
wo er stand, in der Mitte der Kurve, konnte er in beide Richtungen
sehen: endlose Baumreihen zu beiden Seiten, die mit ihren ineinander
verflochtenen Zweigen einen Tunnel bildeten.
    Kein hässlicher Anblick, wenn es dein letzter ist.
    Emma blickte die Straße hinunter, dorthin, wo sie ihren Wagen
abgestellt hatte. »Also, wenn das alles ist, Boss …«
    »Wir müssen feststellen, wer sie ist, das ist das
Vordringlichste«, überlegte Lapslie laut, ohne ihr recht zuzuhören.
»Dabei können wir von zwei Seiten vorgehen. Die Untersuchung der Leiche
könnte eine Geldbörse zutage fördern, ein Rezept, ein Stück Papier,
eine Monatskarte oder sonst was, wo ihr Name und ihre Adresse
draufstehen. Ich hab nirgends eine Handtasche gesehen, aber vielleicht
taucht sie ja noch irgendwo im hohen Gras auf. Ich bleibe mit den
Leuten von der Spurensicherung und dem Pathologen in Verbindung, aber
Sie können die andere Seite übernehmen. Wenn wir erst mal das ungefähre
Alter und eine ungefähre Zeitspanne für das Todesdatum wissen, dann
möchte ich, dass Sie die Vermisstenanzeigen durchgehen und alles
rausfiltern, was irgendwie passt. Mit einigem Glück können wir die
Anzahl der Möglichkeiten so begrenzen. Und dann, wenn wir wissen, wie
sie gestorben ist, dann können wir anfangen, alles zusammenzufassen.«
    »Na, wär das nicht schön«, murmelte Emma. »Hören Sie, Sir, ich
würde gern in die Gänge kommen, wenn Sie nichts dagegen haben. Ich bin
seit drei Uhr früh hier, und ich könnte 'ne Dusche und frische
Klamotten gebrauchen.«
    »Okay«, meinte Lapslie zustimmend, »hauen Sie ab. Ich bleibe
noch hier und warte auf den Gerichtsmediziner. Der hätte eigentlich
inzwischen schon hier sein müssen.«
    »›Sie‹, Sir. Anscheinend heißt der zuständige Pathologe Doktor
Jane Catherall. Ich hab sie zweimal angerufen, jedes Mal ohne Erfolg.
Die vom CSI sagen, sie erscheint immer spät am Tatort.«
    »Ich lasse mir von denen die Nummer geben und versuche es noch
mal. Sie können gehen. Melden Sie sich später bei mir.«
    Emma nickte dankbar und ging davon. Lapslie blickte ihr nach,
sah, wie sich der Stoff ihrer Designerhose beim Gehen diagonal über ihr
Hinterteil spannte, erst in die eine Richtung, dann in die andere.
Frauen im Polizeidienst hatten es schon schwer. Die meiste Zeit waren
sie gezwungen, sich maskuliner zu geben als die Männer – ein
Schutzverhalten im verschworenen Männerklub der Polizei. Emma war keine
Ausnahme, aber Lapslie vermutete, dass sich darunter die
Verletzlichkeit eines Schulmädchens verbarg. Vielleicht sollte er ihr
entgegenkommen, ihr begreiflich machen, dass er sie nicht nach dem
bloßen Schein beurteilte. Und wahrscheinlich schuldete er ihr eine
Erklärung für seine Auszeit vom Polizeidienst, einer Pause, die durch
ihren Anruf so abrupt geendet hatte.
    Er folgte Emma bereits, noch ehe er sich bewusst dazu
entschlossen hatte. Vielleicht war dies ein guter Zeitpunkt, um Brücken
zu bauen.
    Sie erreichte ihren Mondeo ein paar Sekunden vor ihm. Als er
näher kam und im Geiste Lobesworte formulierte, hörte er sie sprechen.
Einen Moment lang dachte er, sie telefoniere mit ihrem Handy, aber da
trat sie zur Seite, und er stellte fest, dass sie mit jemandem auf dem
Beifahrersitz des Wagens redete, mit jemandem, der sich die Augen rieb,
als sei er soeben aufgewacht.
    »Ich kann dich zurückbringen, bis …«, sagte sie, und
dann sah sie Lapslie. Die Haut um ihre Augen spannte sich, und ihr
Blick flackerte von einer Seite zur anderen, als suche sie automatisch
nach einem Ausweg.
    »Sir – ist noch was?«, fragte sie und schob sich
seitwärts, um Lapslie den Blick auf ihren Mitfahrer zu verstellen.
    Lapslie trat ebenfalls zur Seite, doch Emmas Begleiter hatte
den Kopf weggedreht, und alles, was Lapslie durch das offene
Beifahrerfenster sehen konnte, war ein Ohr mit einem kleinen goldenen
Ohrring und eine wirre Haarmähne.
    »Kann ich Sie kurz sprechen?«, sagte Lapslie knapp, und alle
Lobeswörter, die er hatte sagen wollen, rannen aus seinem Gedächtnis
wie Regen von einer Fensterscheibe.
    Emma trat von ihrem Auto weg und ging um Lapslie herum, so
dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich ebenfalls von dem Wagen
abzuwenden.
    »Sie haben heute Nacht jemanden mitgebracht«, konstatierte er
mehr, als dass er fragte.
    »Sir.« Sie mauerte.
    »Das hier ist der Schauplatz eines Verbrechens. Wir sind
Profis, wir haben einen Job zu erledigen. Da kann man nicht einfach
Zuschauer

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