Kaltes Gift
fünfundzwanzigtausend Pfund. Das
alles war schon in der Familie gewesen, bevor Daisy geboren worden war,
angekauft von ihrem Vater, ihrem Großvater, dessen Vater und so fort,
als es noch keine Antiquitäten, sondern bloß gewöhnliche Gegenstände
gewesen waren. Daisy war jung verwitwet, hatte keine Kinder, also gab
es niemanden, der sie übernehmen konnte. Also waren sie hier geblieben.
Für Daisy gehörte das alles einfach nur zum Haus, für Violet aber war
es etwas gänzlich anderes. Diese Dinge waren Vermögenswerte, die so
schnell wie möglich zu Geld gemacht werden mussten.
Und das, bevor sie Daisys Nachlass um die schmale Summe ihrer
Rente erleichterte, die über die Jahre aufgelaufen war, um die
verschiedenen Wertpapiere und Aktien, die sie womöglich angesammelt
hatte, und um das Wichtigste von allem, das Haus. Dieses wundervolle,
unbelastete Haus aus den fünfziger Jahren in einem ruhigen Teil der
Stadt, ideal für Pendler: nicht weit zur Arbeit und doch davon
abgeschottet. Laut einem Grundstücksmakler, mit dem Violet einmal eine
interessante Unterhaltung gehabt hatte, lag sein Wert bei mehr als
einer Viertelmillion Pfund.
Nicht dass sie sofort verkaufen würde. Nein, das könnte zu
viele Fragen aufwerfen. Obwohl bloß ein paar Gläser Kognak nötig
gewesen waren, um Daisy zu überreden, die Vollmachtsurkunde für sie zu
unterschreiben, damals, vor ein paar Monaten, scheute Violet doch davor
zurück, zu schnell zu viel Eigenmächtigkeit geltend zu machen. Eile mit
Weile, wie es so schön hieß. Lieber warten, bis sich der Staub ein
bisschen gelegt hatte.
Obgleich es schon spät war, hatte sie noch etwas Wichtiges zu
erledigen, ehe sie in ihr Bett schlüpfen und erleichtert an die Decke
blicken konnte – mit der stillen Zufriedenheit nach
wohlgetaner Arbeit. Sie musste das Wohnzimmer sauber machen.
Violet ging in die Küche und nahm die Plastiktüte mit den
Reinigungsutensilien vom Tresen. Als sie in dem Laden die Regale
entlanggeblickt hatte, war sie völlig perplex gewesen angesichts des
Riesensortiments von Dingen, die die Leute benutzten, um ihre Häuser
sauber zu machen. Wie konnte jemand derartig viele Produkte verwenden?
Und wie kam es dann, dass die Häuser heutzutage so viel schmutziger und
staubiger waren als in Violets Kindertagen, als man nichts weiter
gehabt hatte als Bienenwachs, Speckstein und Teerseife?
Und natürlich Soda.
Stolz zog sie die blaue, ziemlich schmucklose Packung aus dem
Beutel. Wenigstens stellte noch jemand Sodakristalle her.
Mit heißem Wasser aus dem Hahn mischte sie in einem Eimer aus
dem Wintergarten eine starke Waschsodalauge und machte sich mit
Gummihandschuhen und einer Bürste an die Arbeit. Sie schrubbte die
Lauge in den Wohnzimmerteppich ein und nahm die braune Brühe –
Rückstände von Daisys Blut und Kot – mit einem Packen
Geschirrtücher auf. Der Bereich, wo der Sessel gestanden hatte, war
nahezu unberührt, abgesehen von Spritzern und Tropfen, die ihren Weg
nach unten durch die Polsterung gefunden hatten. Nach einer halben
Stunde unterschied sich der Teppich um diese Stelle herum kaum noch von
dem im Zentrum, und der Gestank war auf die Geschirrtücher
übergegangen. Vorsichtig trug sie die Tücher in den Garten hinaus, warf
sie in die Mülltonne und goss noch ein wenig Bleichmittel darüber. Dann
schmiss sie die Gummihandschuhe hinterher. Sehr wahrscheinlich würden
die im Feuer nicht gänzlich schmelzen, aber wenigstens würde jegliche
Spur von Daisy daran verbrennen.
Die Uhr im Wohnzimmer – Goldbronze, leider eine
Reproduktion aus den fünfziger Jahren und keine zehn Pfund
wert – zeigte fast Mitternacht. Die gedämpften Laute des
Fernsehers im Nebenhaus waren schon vor einer Weile verstummt. Nirgends
mehr ein Geräusch, abgesehen von dem gelegentlichen dumpfen Knarren,
das es in jedem alten Haus gibt, wenn es sich nachts zur Ruhe begibt.
Violet sehnte sich verzweifelt nach Schlaf, aber eines blieb noch zu
tun, ehe sie sich der Dunkelheit überlassen konnte. Ein letzter Akt, um
das Haus zu dem ihren zu machen.
Systematisch ging sie von Zimmer zu Zimmer und sammelte alle
Fotografien von Daisy ein. Im Esszimmer stand eins in einem Rahmen hoch
oben auf einem Bücherregal. Eine alte, an den Ecken knittrige
Schwarzweißaufnahme von einer jungen Frau mit hochtoupierter Frisur,
die an einem Promenadengitter lehnte, mit einem Strand dahinter. Auf
der Rückseite stand in brauner Spinnenschrift ›Camber Sands, Juli
1953‹. Sie hatte keine
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